Der diesjährige Nobelpreis für Medizin geht an den Japaner Yoshinori Ohsumi. Seine Leistung: Er hat herausgefunden, wie Müll, giftige Stoffe und unerwünschte Eindringlinge in der Zelle abgebaut werden.

Stuttgart - Auch in der Zelle geht es zu wie überall im Leben: Was nicht mehr gebraucht wird, muss entsorgt werden. Dies gilt ebenfalls für Dinge, die gefährlich werden können, giftige Stoffe zum Beispiel oder unerwünschte Eindringlinge wie Bakterien und Viren. Da die Natur aber sparsam mit ihren Ressourcen umgeht, wird so wenig wie möglich weggeworfen. Die Devise heißt vielmehr Recycling – und das beherrschen die Zellen perfekt.

 

Wie die Mechanismen funktionieren, die den Abbauvorgängen zugrunde liegen, hat Anfang der 1990er Jahre Yoshinori Ohsumi herausgefunden. Jetzt kam die späte Ehrung: Der Japaner hat den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhalten – „für die Entdeckung der Mechanismen der Autophagie“, so die Begründung des schwedischen Preiskomittees. Dabei muss er sich die mit 830 000 Euro dotierte Auszeichnung mit keinem anderen Wissenschaftler teilen – was in den vergangenen Jahren nur recht selten vorkam.

Die Zelle frisst Teile von sich selbst auf

Der aus dem Griechischen stammende Begriff Autophagie – Selbstverschlingung oder Selbstfressen – ist allerdings nicht ganz wörtlich zu nehmen: Die Zelle frisst sich nicht als Ganzes selbst auf, sondern „nur“ Teile von sich. Bereits in den 1950er Jahren erkannte der belgische Biochemiker und spätere Nobelpreisträger Christian de Duve, dass in bestimmten kleinen Zellorganen Stoffe aufgelöst – lysiert – werden: Duve nannte diese im Elektronenmikroskop sichtbaren Zellorganellen daher Lysosomen und prägte den Begriff Autophagie. Später wurden weitere Einzelheiten dieses Prozesses entdeckt, etwa dass bestimmte Teile der Zelle – die Autophagosomen – zunächst größere Mengen an Zellmaterial einschließen können, das dann anschließend in den Lysosomen abgebaut wird.

Doch wie dies alles genau funktioniert, das wusste man Ende der 1980er Jahre noch nicht. Hier setzte Yoshinori Ohsumi als Juniorprofessor an – mit einer „Serie von eleganten Studien“, so die Würdigung des Nobelpreiskomitees. Die Versuche mit Bäckerhefe führten dann zu der 1993 veröffentlichten Erkenntnis, dass 15 Gene an dem Abbauprozess beteiligt sind.

Unterschiedliche Autophagie-Prozesse

In den folgenden Jahren charakterisierten die Forscher um Ohsumi dann diese Gene und die zugehörigen Eiweißkomplexe näher. Und sie fanden heraus, dass die Autophagie-Prozesse auch in höheren Tieren in vergleichbarer Weise funktionieren. Dies führte dann zu einem wahren Forschungsboom auf diesem Gebiet – und zu der Erkenntnis, dass es mehrere verschiedene Autophagie-Prozesse gibt, die jeweils anders ablaufen.

So macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob die Zelle auf Hunger reagieren muss – und alles Zellmaterial, das nicht unbedingt zum Leben gebraucht wird, abbaut und die recycelten Baustoffe der hungernden Zelle zur Verfügung stellt. Oder ob bei der sogenannten selektiven Autophagie bestimmte Komplexe gezielt abgebaut werden müssen. Dazu zählen beispielsweise falsch gefaltete oder aus anderen Gründen unerwünschte Eiweißaggregate sowie größere Zellteile, etwa die Organellen. Aber auch Eindringlinge wie Viren und Bakterien werden von diesem zelleigenen System bekämpft. Dazu sind spezifische „Wächter“ erforderlich, die den zu entsorgenden Müll identifizieren und ihn an die richtige Entsorgungsstelle weiterleiten.

Probleme beim Abbau können zu Krankheiten führen

Damit ist klar, dass dieses Abbau-, Umbau- und Recyclingsystem der Zelle entscheidend dazu beiträgt, den Körper richtig funktionieren zu lassen. Und dass Störungen schnell gesundheitliche Folgen haben können. Dabei nimmt die Gefahr, dass bei der Entsorgung nicht mehr alles ordnungsgemäß abläuft, mit dem Alter zu. So ist denn auch eine ganze Reihe von Krankheiten mit Problemen im Autophagie-System verbunden – Krebs, Parkinson und Typ-2-Diabetes zum Beispiel. „Derzeit findet eine intensive Forschung statt um Medikamente zu entwickeln, die gezielt bei verschiedenen Krankheiten in den Autophagie-Prozess eingreifen“, würdigt das Nobelpreis-Komitee die praktische medizinische Bedeutung von Ohsumis grundlegenden Erkenntnissen.

In der Praxis heißt dies, dass die Forscher bei manchen Krankheiten nach Wegen suchen, die offenbar ins Stocken gekommenen Abbauprozesse wieder anzukurbeln. Dies könnte bei Leiden wie Alzheimer und Parkinson helfen, die mit dem Alter zunehmen und durch degenerative Prozesse im Gehirn verursacht werden. Umgekehrt kann es hilfreich sein, den Abbau zu bremsen: Etwa dann, wenn Krebszellen mit Strahlen oder einer Chemotherapie geschädigt werden und anschließend das zelleigene Autophagie-System daran gehindert wird, die Schäden zu reparieren.

Der Preisträger

Forscher
Yoshinori Ohsumi wurde 1945 geboren und machte 1974 seinen Doktor an der Uni Tokio. Nach drei Jahren an der Rockefeller Universität (New York, USA) kehrte er an die Tokio Universität zurück. Dort wurde er 1988 Assistenzprofessor und baute seine Forschungsgruppe auf, mit der er die Arbeiten durchführte, die jetzt mit dem Nobelpreis gewürdigt wurden. Nach weiteren Stationen in Japan emeritierte er 2009 und ist seither Professor am Tokio Institut für Technologie.

Reaktion
Der von Forscherkollegen als sehr bescheiden beschriebene Ohsumi zeigte sich bei der Nachricht über die Verleihung des Preises überwältigt: „Das ist eine Freude für einen Forscher, die nicht zu übertreffen ist“, sagte er. Seine Reaktion am Telefon schilderte Thomas Perlmann, der Sekretär des Nobelkomitees am Karolinska-Institut, so: „Er wirkte überrascht, seine erste Reaktion war: Aach.“