Hersteller von Wohncontainern werden zurzeit mit Aufträgen überhäuft. Das bringt den Firmen nicht nur Vorteile. Einblicke in eine sehr spezielle Boombranche

Region: Verena Mayer (ena)

Kehl - Doch, die Box kann sich sehen lassen. Keine Löcher in den Wänden. Keine Sprünge in den Fensterscheiben. Das Dach ist dicht, der Boden ordentlich. Ein bisschen polieren müsste man vielleicht noch. Aber viel mehr ist nicht zu tun. Zum Glück. Auf dem Hof der Firma Algeco im badischen Kehl sind auch schon Wohncontainer abgestellt worden, bei denen man auf den ersten Blick nicht sagen konnten, wo oben und unten, vorne und hinten ist. In den Rahmen fehlten die Türen, die Rollläden waren ramponiert, und bei den Toiletten, nun, da gebietet es der Anstand, nicht ins Detail zu gehen. Jedenfalls können einem die Containerinstandsetzer der Firma Algeco manchmal leidtun. Aber die Box ist in einem passablen Zustand. Am nächsten Tag wird sie fertig sein zur Auslieferung.

 

Das Landratsamt in Offenburg erwartet sie sehnlichst. Wie die restlichen 799 Wohncontainer, die die Behörde Ende August bestellt hat. Dem Ortenaukreis geht es wie allen 295 Landkreisen in der Republik: Er muss viele Flüchtlinge aufnehmen, hat aber wenig Platz. Der Firma Algeco geht es deshalb wie allen anderen Firmen in der Branche: Sie können gar nicht so viel liefern, wie sie liefern sollten.

Der Marktführer spürt Druck

„Wir spüren den Druck“, sagt Willy Geppert, Prokurist bei Algeco, einem der ganz großen Unternehmen im Containergeschäft. Algeco ist in 25 Ländern der Welt präsent, hat 13 Niederlassungen allein in Deutschland und verfügt in seinem globalen Imperium über mehr als 4000 Mitarbeiter und mehr als 300 000 Container, die es vermietet und verkauft. Angaben zum Umsatz macht Algeco nicht, wirbt aber damit, dass es europaweit Marktführer im Containergeschäft sei.

Bei einem Besuch in der Firmenzentrale im Kehl kann man zwei Dinge lernen. Erstens: es könnte viel mehr von den akut benötigten Notbehausungen geben, wenn es ein bisschen weniger Bürokratie gäbe. Zweitens: Containerverkäufer haben es trotz ihrer glänzend gehenden Geschäfte auch nicht leicht. Aber wahrscheinlich sollte man sagen: sie haben es nicht leicht wegen ihrer glänzend gehenden Geschäfte.

Beim Rundgang über den Hof seiner Firma präsentiert Willy Geppert einen Sanitärcontainer – schon von außen deutlich an den drei kleinen Fenstern zu sehen, die in der Wand über den dahinterliegenden Urinalen angebracht sind. Die Urinale sind in diesem Fall allerdings noch nicht montiert. Weiter geht’s zu dem, was der Fachmann „Flurcontainer“ nennt – sofort identifizierbar an den türhohen Öffnungen in den Seitenwänden. Dort werden, wenn die Stunde des Aufbaus gekommen ist, die anderen Räume angedockt. Im Prinzip, erklärt Geppert, müsse man sich Container – oder schöner: Module – wie riesige Legoklötze vorstellen. Einfach aneinander- und aufeinanderstecken, wie man möchte oder wie man es braucht.

Weiter zum Raumcontainer: an der Decke warten Kabel auf Lampen, die Löcher in den Wänden werden demnächst mit Steckdosen gestopft. Und wenn der Raumcontainer erst einmal an seinem Zielort steht, werden auch die Betten, Tische und Schränke montiert.

Ein Produkt, viele Vorschriften

Der klassische Algeco-Container ist sechs Meter lang, zweieinhalb Meter breit und ebenso hoch. Macht 15 Quadratmeter Nutzfläche. Platz für zwei oder drei Personen, je nachdem, wo die Unterkunft aufgebaut wird. In Baden-Württemberg etwa stehen einem Asylbewerber zurzeit nicht mehr als 4,5 Quadratmeter Wohnfläche zu. In Bayern hingegen sind es im Idealfall sieben Quadratmeter, in Brandenburg wiederum sechs – in der Theorie.

Wenn man in die Bauordnungen der Bundesländer schaut, finden sich etliche Unterschiede in den Vorschriften. Zwar stimmen sich die Länder ab und versuchen, so viel wie möglich so einheitlich wie möglich zu regeln, aber es kann vorkommen, dass in einem Bundesland eine Treppe am Gebäude angebracht werden darf, in einem anderen hingegen nicht – oder dass die Steigung einer Treppe mal 26 Grad betragen muss oder mal 30 oder dass ein Bundesland diesen Wert für den Feuerwiderstand vorschreibt, ein anderes wiederum jenen. Wäre Willy Geppert nicht so ein diplomatischer Geschäftsmann, würde er vermutlich sagen, dass einen die Bürokratie manchmal ganz schön umtreiben kann. Nicht, dass die Umbauten nicht möglich wären. Alles ist machbar und wird auch gemacht. Aber das kostet halt Zeit. Und dann muss das auf den Bauämtern ja immer jemand prüfen. Und das kostet noch mal Zeit.

Kampf mit der Bürokratie

Günter Jösch stöhnt leise, wenn man ihn nach den Feinheiten des Containeraufstellwesens fragt. Jösch ist Geschäftsführer des Bundesverbands Bausysteme in Koblenz und in dieser Funktion zugleich Experte für Container und Bürokratie. Der Bundesverband arbeitet daran, dass es bald eine einheitliche Sonderverordnung für Container gibt. Gäbe es eine solche, erklärt Günter Jösch, müssten sich die Bearbeiter in den behördlichen Bauämtern nicht bei jedem Antrag durch Wälzer graben und abgleichen, ob die Angaben zur Statik den jeweiligen Vorgaben entsprechen, die Nachweise zum Schall- und Brandschutz konform sind, die Wärmedämmung so ist, wie sie sein soll. Ein einheitlicher Standard würde die Genehmigungsverfahren ungemein beschleunigen, prophezeit Günter Jösch, der zuversichtlich ist, dass es die angestrebte Sonderverordnung bald geben wird. Wenigstens vorübergehend, solange der Bedarf so riesig ist. „Man muss das Rad doch nicht jedes Mal neu erfinden.“

Die Container, die in Stuttgart-Plieningen aufgebaut wurden, haben von außen Ähnlichkeit mit den Bungalows eines Ferienheims: zwei überschaubare Geschosse, umlaufende Balkone, viel Farbe. Sehr freundlich alles, fast einladend. Die Flüchtlinge könnten sich dort geborgen und gut aufgehoben fühlen, lobte der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn „dieses moderne Systemgebäude“, als es fertig war. Das moderne Systemgebäude hat, wie jene in Zuffenhausen, in Feuerbach und im Neckarpark, die Firma Kleusberg errichtet – eine andere Branchengröße neben Algeco.

Berichterstattung unerwünscht

Ein Besuch bei dem Unternehmen, das seine Zentrale im Westerwald hat und eine Filiale in Remseck am Neckar, ist allerdings unmöglich, kein Interesse. Wenn man dem Pressesprecher glauben darf, ist das größte Interesse des Unternehmens momentan, in keinem Zeitungsartikel, keinem Radio- und keinem Fernsehbeitrag erwähnt zu werden. Zumindest nicht im Zusammenhang mit Flüchtlingswohnheimen. Man wolle nicht als Profiteur des tragischen Weltgeschehens erscheinen, erklärt der Pressesprecher. Doch das ist trotz der medialen Zurückhaltung schwierig.

„Auf die Hersteller von Wohncontainern warten lukrative Geschäfte“, schreibt das „Handelsblatt“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ analysiert: „Die Produzenten von Wohncontainern wittern ein gutes Geschäft.“ Der Norddeutsche Rundfunk recherchiert, dass sich die Preise für Flüchtlingscontainer binnen Monaten teilweise verfünffacht haben. „Unanständig“, „frech“, „verantwortungslos“, schimpfen Bürgermeister quer durch die Republik.

Ein schlichter Raumcontainer kostet ungefähr 8000 Euro. Zu mieten gibt es solch eine Einheit ab etwa 200 Euro pro Monat, je nach Ausstattung. Bei Hunderten von Containern oder gar Tausenden kommen schnell sehr hohe Summen zusammen. Stuttgart zum Beispiel hat mehr als 20 Millionen in seine bunten Unterkünfte investiert, Berlin ungefähr doppelt so viel.

Gelegenheit für Glücksritter

Bestimmt seien beim Kampf um solche lukrativen Aufträge auch ein paar Glücksritter unterwegs, die das große Geschäft wittern, mutmaßt Günter Jösch, dessen Bundesverband elf von rund 130 Unternehmen vertritt, die Wohncontainer anbieten. Doch der wahre Grund für die – mitnichten exorbitanten – Preiserhöhungen, erklärt Jösch, seien gestiegene Kosten. Müssen mehr Container ausgerüstet werden, braucht es mehr Gipskartonagen und mehr Steinwolle und mehr Blech und mehr Betten, Duschen, Schränke, Küchen und Waschmaschinen. Ist die Nachfrage groß, das Angebot aber knapp, steigt der Preis. Marktwirtschaft, erste Lehrstunde.

In Kehl sagt Willy Geppert: „Wir sehen die Not, unser Bestreben ist zu helfen.“ Wenn man weiß, dass die Container für Flüchtlinge einen Anteil von gerade mal fünf bis zehn Prozent des Algeco-Umsatzes ausmachen, klingen diese Worte nicht so geschäftstüchtig, wie sie das im ersten Moment womöglich tun. Und ja, genau: die anderen Kunden gibt es ja auch noch!

Es gibt nichts, was es nicht gibt

Eine Seniorenresidenz? Kein Problem: fertig in zwölf Wochen. Ein Schwesterwohnheim? Bitteschön: kann in zehn Wochen stehen. Eine Kindertagesstätte (sehr beliebt seit es das U3-Gesetz gibt)? Voilà: einsatzbereit binnen neun Wochen. Ein Interimsgebäude für eine sanierungsbedürftige Schule? Gerne! Darf der Boden mit Teppich ausgelegt sein? Büros und Besprechungszimmer für eine Großbaustelle? Aber immer doch! Wünscht der Kunde dazu Polsterstühle und eine Klimaanlage?

Es gibt nichts, was man mit Containern nicht errichten könnte. Und seit sie in den 1990er Jahren ihr Image als billige und schmuddelige Baustellenbehausung abgestreift haben, gibt es auch nichts, was nicht mit ihnen gebaut wird. Sogar eine Sakristei für den seinerzeit beim Weltjugendtag in Köln predigenden Papst.

Voraussetzung: sie gehen nicht aus.

Willy Geppert blickt mit ernster Miene auf den Platz, auf dem normalerweise die aufzumöbelnden Wohncontainer angeliefert werden. Er ist schlecht gefüllt. „Wenn nächste Woche keine Rücklieferung kommt, haben wir ein Problem“, sagt Geppert, dessen Firma, nebenbei bemerkt, selbst in einem Gebäude aus Containern residiert. Trotzdem plant der Prokurist nicht, die Produktion im Algeco-Werk in Tschechien drastisch hochzufahren. Warum werden bei steigender Nachfrage nicht signifikant mehr Container hergestellt?

Der Nachschub steht bereit – theoretisch

Weil es die dringend benötigten Objekte eigentlich bereits gibt. Sie stehen in Frankreich, England, Spanien und wo die deutschen Wohncontainer-Unternehmen sonst noch Standorte haben – und vor allem: wo sie nicht so dringend benötigt werden. Doch so einfach ist das natürlich nicht. Kann man Container aus Frankreich auch in Schleswig Holstein aufstellen, wo der Wind viel heftiger bläst? Ist es möglich, Container aus England schnurstracks im Bayrischen Wald zu platzieren, wo viel mehr Schnee fällt? Kann man ignorieren, dass die Fenster in Containern aus Spanien nicht so gut gedämmt sind wie jene, die in Containern im Schwarzwald stecken? Die Antwort auf diese Fragen lautet: Nein. Denn jedes Land hat seine eigenen Regeln.

Aber der Bundesverband Bausysteme ist auch in dieser Angelegenheit in Verhandlungen für eine „befristete Sondergenehmigung“. Die Ansprüche an die Wohncontainer sollen so angepasst werden, dass auch die aus den europäischen Nachbarländern zum Einsatz kommen können. Zumal es an alternativen Unterkünften ebenfalls mangelt. Zelte sind knapp, Leichtbauhallen fallen auch nicht vom Himmel. Ausnahmen gibt es in dieser Ausnahmesituation ohnehin schon jede Menge. Zum Beispiel müssen öffentliche Aufträge nicht mehr zwingend europaweit ausgeschrieben werden. Könnte man da nicht auch bei den Wohncontainern neu denken? Wenigstens vorübergehend? Hauptsache sie stehen, und sie sind sicher?

Eine Herausforderung für alle

Das Deutsche Institut für Bautechnik, eine Art Zulassungsstelle im Bauwesen, fragt momentan bei allen Bundesländern ab, welche Auflagen ihre Containerunterkünfte jeweils erfüllen müssen. Das Institut hofft, ein Verfahren zu finden, mit dem bei bestimmten Systembauten auch Container aus dem europäischen Ausland zugelassen werden können – und das rasch.

In Kehl lässt Willy Geppert seinen Blick über das Firmengelände schweifen. Er betrachtet die emsigen Arbeiter. Er sagt: „Die Situation ist eine Herausforderung für die gesamte Branche.“ Und er weiß: es ist eine Herausforderung für alle.