Die Wirtschaft steht technologisch im Umbruch. Das fordert neue Arten von Zertifikaten und Prüfungen. Davon profitiert der Tüv Süd. Aber Altlasten bedrohen ihn.

Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten geht es aufwärts für den Tüv Süd. Weil umwälzende Entwicklungen wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit einen steten Strom neuer technischer Prüfdienste auslösen, hat der Münchner Konzern ein erfolgreiches Jahr 2023 hinter sich. Mit 3,1 Milliarden Euro steht ein Zehntel mehr Umsatz zu Buche, freute sich Konzernchef Johannes Bussman zur Bilanzvorlage. Der Jahresüberschuss stieg sogar um ein Drittel auf 177 Millionen Euro. In dem Stil soll es 2024 operativ weitergehen. Aber über den Bayern liegt seit Januar 2019 ein Schatten. Damals ist in Brasilien ein Damm gebrochen, dem Tüv-Prüfer zuvor die Sicherheit bescheinigt hatten. 272 Menschen starben. Die Umweltschäden waren immens. Das könnte den Tüv Süd noch einholen.

 

Ein Dammbruch in Brasilien könnte teuer Folgen haben

Finanzchef Matthias Rapp spricht von „Eventualverbindlichkeiten“. Die würden anfallen, falls der Tüv etwa einen in München laufenden Schadenersatzprozess verliert. Davon gehe man weiterhin nicht aus, betont Rapp. Aber die 1402 an der Isar vor Gericht gezogenen Kläger aus der brasilianischen Unglücksgemeinde Brumadinho machen inzwischen 582 Millionen Euro Regress geltend. Dazu könnten noch weit höhere Summen für Umweltschäden kommen. Das Münchner Landgericht hat inzwischen einen Gutachter als Experten für brasilianisches Recht beauftragt, was auf dessen Anwendung auch vor einem deutschen Gericht deutet.

Was der Tüv für den Dammbruch bislang zurückgestellt hat, nimmt sich im Vergleich zu den Forderungen sehr überschaubar aus. Nur ein Posten über 43,2 Millionen Euro ist in der aktuellen Tüv-Bilanz dafür zu finden. Das seien vor allem Prozess- und Anwaltskosten für Streits im Zusammenhang mit Brasilien, klärt Rapp auf. Was der Tüv für den Fall schon ausgegeben hat, mag er nicht sagen. Rückstellungen für Schadenersatz habe man noch nicht getroffen.

Nur der Mutterkonzern könnte im Notfall die brasilianische Tochter retten

Die Tüv-Bilanz kommt aber um einige Anmerkungen zum Dammbruch nicht herum. Vor allem den beiden brasilianischen Töchtern Tüv Süd Brasilien und Tüv Süd SFDK drohten „erhebliche finanzielle Belastungen“, sollten Rechtsstreits verloren gehen, heißt es dort. Schadenersatz und sonstige Zahlungen könnten so hoch werden, dass die beiden Firmen womöglich nicht in der Lage seien, ihre Schulden zu begleichen. „Diesbezüglich ist der Fortbestand der brasilianischen Tochtergesellschaften bedroht, falls diese Gesellschaften für die Schäden aus dem Dammbruch haftbar gemacht werden“, heißt es im Geschäftsbericht. Verhindern könnte deren Pleite dann nur der Mutterkonzern, falls er für diese Eventualschulden aufkommt. Auf die Frage, ob der Tüv Süd das im Fall der Fälle plant, hat Rapp eine Antwort. „Stand jetzt, nein“, erklärt der Finanzchef.

Im Zweifel würde der Prüfkonzern aus München also seine beiden Töchter pleite gehen lassen und globale Reputationsschäden in Kauf nehmen, statt potenzielle Schäden in dreistelliger Millionenhöhe oder noch umfangreicher zu schultern. Voraussichtlich diesen Herbst wird der Dammbruch vor dem Münchner Landgericht wieder verhandelt. Ein Urteil könnte 2025 fallen und danach noch jahrelang durch die Instanzen weiterprozessiert werden.

Tüv Süd hält sich mittlerweile von Zertifizierung von Staudämmen fern

Damit schwebt bis auf Weiteres ein Damoklesschwert über dem Tüv Süd, der sich mittlerweile aus der Zertifizierung von Staudämmen zurückgezogen hat. Die Zukunft soll der Prüfung und Zertifizierung von energieeffizienten Gebäuden und künstlicher Intelligenz, Wasserstoffwirtschaft oder Cybersicherheit gehören. „Wir wollen erster Ansprechpartner für Nachhaltigkeit sein“, verspricht Bussmann. Mit dem Prototyp einer ersten Kfz-Prüfstelle in Holzbauweise gehe man dabei auch im eigenen Haus voran.

Minimal fünf Prozent mehr Umsatz soll das dieses Jahr bringen und den Aufbau von erneut rund 1500 Stellen auf dann knapp 30 000 Beschäftigte weltweit. Das sind eigentlich gute Zukunftsaussichten, gäbe es nicht die Schatten aus der Vergangenheit.