Die einen nennen Felix Baumgartner „Stunt-Affe“, die anderen „Gott der Lüfte“. Fest steht: Der ehemalige Fallschirmjäger ist ein exzellent ausgebildeter und begabter Springer, der bei seinen Rekordversuchen nur wenig dem Zufall überlässt.

New Mexiko - Andere Menschen hätten vielleicht einen kleinen philosophischen Augenblick gehabt, einen Moment, in dem sie über Dinge wie die Unendlichkeit und die Bedeutungslosigkeit der menschlichen Existenz nachdenken. Doch als Felix Baumgartner auf seinem Sprungbrett in 39 Kilometer Höhe stand, die Erdkrümmung und das tiefe Blau das Universums im Visier, hatte er nur einen Gedanken. „Ich wollte nur heil wieder dort runter kommen“, sagte er nach seinem Rekordsprung am Sonntag, bei dem er als erster Mensch der Welt im freien Fall die Schallmauer durchbrach.

 

Überhaupt war Baumgartner erstaunlich unsentimental, nachdem er sich aus der Stratosphäre hinunter in die Wüste von New Mexico gestürzt hatte. Er sprach über die technischen Schwierigkeiten beim Aufstieg, über den Moment, in dem er im Beinahe-Vakuum darum ringen musste, seinen Körper in eine stabile Lage zu bekommen, über die ausgefallene Heizung seines Visiers. Es war ein kühle Problemanalyse einer High-Tech-Mission und keine Reflexion einer Pioniertat, die an tiefsitzende Fantasien der Menschheit rührt und die Grenzen der Vorstellungskraft strapaziert.

Sogar über die Windeln im Raumanzug wurde nachgedacht

Felix Baumgartner ist ein Abenteurer, das lässt sich nicht bestreiten. Aber er ist vor allen Dingen auch eines: Vollprofi. Er steckt sich absurd wirkende Ziele – wie den Supersprung vom Sonntag oder vorher seine Sprünge vom Financial Center in Taipei, von der Christusstatue in Rio oder sein Gleitflug über den Ärmelkanal. Unter seiner Hand werden diese Hyper-Zirkusnummern jedoch zu einer Kette technischer Einzelprobleme. „Er war schon immer eine Mischung aus einem wilden Hund und einem unglaublich peniblen und genauen Mensch“, beschreibt sein Fluglehrer beim österreichischen Militär, Josef Schwab, seinen ehemaligen Schützling.

An dem Sprung aus 39 Kilometer Höhe etwa hat Baumgartner sieben Jahre lang gebastelt. Er hatte eine Expertenteam an Technikern, Medizinern und Ingenieuren zusammen gestellt, die jedes Detail des Sprunges ausbrüteten, von der Wandstärke des Ballons bis zum hydraulischen Sitz in der Kapsel und der Onlinemessung von Baumgartners Körperfunktionen. Sogar über die Beschaffenheit seiner Windeln im Raumanzug wurde nachgedacht. Der Draufgängersport Extremspringen wurde zu einem Vorhaben, das einer Raumfahrtmission glich. So macht Baumgartner das schon seit einem Jahrzehnt mit seinen Projekten. Felix Baumgartner ist kein Einzelgänger, sondern ein Unternehmen. Er hat ein Büro und einen Mitarbeiterstab, der ihm dabei hilft, seine Vorhaben auszubrüten, umzusetzen und vor allem zu vermarkten. Ganz unverblümt spricht Baumgartner davon, wie hart er daran gearbeitet hat, seine Marke aufzubauen und zu pflegen.

Der Basejumper hat in der Szene nicht nur Freunde

Die Marke Baumgartner besteht darin, Spektakel zu inszenieren, Dinge zu tun, die vor ihm nie jemand getan hat. „Ich riskiere bei meinem Job meinen Hals“, sagt der 43-jährige Österreicher. „Und ich habe keine Lust, meinen Hals für etwas zu riskieren, was Tausend andere schon vor mir getan haben.“ Nur das Einzigartige, Extreme garantiert ihm die nötige Medienaufmerksamkeit und somit natürlich auch die nötigen Sponsorengelder.

In der Basejumper-Szene, der weltweiten Bruderschaft der Extremspringer, hat ihm dieser Zugang nicht nur Freunde eingebracht. Auf den einschlägigen Blogs seiner Kollegen wird er bisweilen als „Stunt-Affe“ bezeichnet, als einer, der nur auf den Effekt aus ist. Seine Anhänger hingegen glauben, dass aus solchen Äußerungen nur der Neid spricht.

Tatsache ist, dass er ein überaus begabter und exzellent ausgebildeter Springer ist. Ob er „der Gott der Lüfte“ ist, wie seine Website unbescheiden behauptet mag dahin gestellt sein. Fest steht jedoch, dass er nach seinen 14 Jahren bei den österreichischen Fallschirmjägern die Fachwelt auf den Kopf stellte, als er anfing, an Basejump-Wettbewerben teil zu nehmen. Bei seinen ersten Weltmeisterschaften 1996 düpierte er mit hochriskanten extravaganten Sprüngen um viele Jahre erfahrenere Kollegen.

Baumgartner schaut nicht nach rechts und links

Um diese Zeit muss er entdeckt haben, dass in seiner Fähigkeit, in Neuland vorzustoßen, ein schlummerndes Potenzial liegt. Und wie bei seinen Sprüngen haderte er nicht lange und setzte diese Entdeckung in eine Geschäftsidee um. „Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe“, sagt Baumgartner, „dann schaue ich nicht rechts und nicht links, sondern konzentriere mich voll auf die Umsetzung“.

Mit der Frage nach dem Sinn seines Tuns hält Baumgartner sich nicht auf, dazu ist er nicht der Typ. „Das Leben hat eine Art und Weise, dich auf einen bestimmten Weg zu schicken“, hat er einmal gesagt. „Und diesem Weg muss man folgen.“ Baumgartners Weg hat ihn ans Ende der Welt geführt. Darin liegt zweifellos eine tiefere Bedeutung. Vielleicht wird Baumgartner auch einmal versuchen, sie zu entschlüsseln. Doch so lange er springt, hat er für so etwas keine Zeit.