Eine Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß plante einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland. Gegen das im Dezember 2022 aufgeflogene Netzwerk beginnen in Kürze insgesamt drei Prozesse. Darin wird es auch um Kontakte nach Russland gehen.

Es war die größte Durchsuchungsaktion, die es bislang in Deutschland gab: Mehrere Tausend Polizisten durchsuchten in den frühen Morgenstunden des 7. Dezembers 2022 150 Objekte im gesamten Bundesgebiet. Sie vollstreckten für den Generalbundesanwalt 25 Haftbefehle. Im Visier der Bundesanwaltschaft: Eine Gruppe mutmaßlicher Reichsbürger um Heinrich XIII. Prinz Reuß und die frühere Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Ab Ende April beginnen in Stuttgart, Frankfurt und München vor den Oberlandesgerichten (OLG) Verfahren gegen insgesamt 26 Angeklagten.

 

Was wird den Angeklagten vorgeworfen?

Sämtlichen Angeklagten wird zur Last gelegt, durch ein hochverräterisches Unternehmen einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland vorbereitet zu haben, die staatliche Ordnung beseitigen und durch eine eigene, in Grundzügen entwickelte Staatsform ersetzen zu wollen. Sie seien dabei einem Gemisch aus Verschwörungsmythen gefolgt, wie ihnen in der sogenannten Reichsbürger- und Selbstverwalterszene Glauben geschenkt werde. Dazu, so wirft ihnen der Generalbundesanwalt (GBA) vor, hätten sie eine terroristische Vereinigung entweder gebildet oder seien in dieser Mitglied geworden. Die Gruppe habe zumindest in Kauf genommen, für ihre Ziele Politiker, Journalisten und Andersdenkende zu inhaftieren und zu töten.

Wer muss sich vor den Oberlandesgerichten Frankfurt und München verantworten?

Vor dem OLG Frankfurt sind außer Prinz Reuß und Malsack-Winkemann zwei Bundeswehr-Pensionäre angeklagt: der frühere Chef des Stabes des Kommandos Spezialkräfte (KSK), Oberst a.D. Maximilian Eder, sowie der frühere Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251, Oberstleutnant a.D. Rüdiger von Pescatore. Zudem müssen sich die Lebensgefährtin Reuß’, Vitalia B., eine russische Staatsbürgerin, der frühere Bundeswehrsoldat und Survivalexperte Peter W. sowie Ex-Polizist Michael F. verantworten.

Angeklagt sind zudem eine Frau und ein Mann, die die Ankläger der Übergangsregierung unter Reuß zuordnen. Diesem wirft der GBA vor, der Kopf des sich selbst „Patriotische Union“ nennenden Netzwerkes gewesen zu. Einer der ursprünglich in Frankfurt Angeklagten ist zwischenzeitlich verstorben. Der 9. Strafsenat des OLG München verhandelt die Klage des GBA gegen sechs Männer und zwei Frauen wegen derselben Tatvorwürfe.

Wer ist in Stuttgart angeklagt?

Vor dem OLG Stuttgart sind neun Männer der mutmaßlichen Terrorgruppe angeklagt. Der GBA rechnet diese dem „militärischen Arm” des Netzwerkes zu. Diese habe die Machtübernahme gewaltsam durchsetzen sollen. Dazu habe die Gruppe begonnen, flächendeckend in Deutschland 286 „Heimatschutzkompanien” aufzubauen. Zu den Angeklagten gehört zudem ein Sportschütze aus Reutlingen, der zunächst nur als möglicher Zeuge ins Fadenkreuz der Ermittler geriet. Bei einer Hausdurchsuchung am 22. März 2023 habe er jedoch aus seinem Wohnzimmer auf die eindringenden Polizisten des Spezialeinsatzkommandos mit einem Schnellfeuergewehr geschossen und zwei Beamte verletzt, einen von ihnen schwer. Der Angeklagte hatte sich hinter einem mit schusssicheren Westen geschützten, drehbaren Fernsehsessel verschanzt.

Ferner gehört zu den Angeklagten ein früherer Bundeswehrsoldat, der im Stab des KSK als Schnittstelle zum Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung fungierte, also die Erprobung und Beschaffung neuer Ausrüstung für das Kommando in die Wege leitete und betreute.

Warum ist der Angeklagte Peter W. besonders interessant?

W. rückte bereits Ende der 2010er Jahre ins Visier der Ermittler. Sie verdächtigten den früheren Fallschirmjäger und Einzelkämpfer, 2017 bei einem Treffen in einem Hotel in Sindelfingen einen Angehörigen des KSK gewarnt zu haben, bei ihm und zwei weiteren Soldaten des Kommandos wolle die Polizei wegen des Verdachtes auf rechte Umtriebe durchsuchen. Zudem soll er an Planungen beteiligt gewesen sein, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen. Der nach seiner Entlassung bei der Bundeswehr als Survivaltrainer tätige W. soll – so die Anklageschrift – Exekutions- und Festnahmelisten angelegt haben. So habe er geplant, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die TV-Moderatoren Markus Lanz und Sandra Maischberger zu inhaftieren. Die Beweisaufnahme muss allerdings ergeben, ob dies lediglich W.s Ideen oder aber in der Gruppe um Prinz Reuß abgesprochen war.

Welche Hinweise gibt es auf Verbindungen der Gruppe zu Russland?

Das Netzwerk hatte wohl engere Kontakte nach Russland als bisher bekannt. Demnach soll Reuß Erkenntnissen deutscher Nachrichtendienste zufolge Kontakt zu dem nationalistischen russischen Motorradclub „Nachtwölfe“ aufgenommen haben. Darüber hinaus suchten die Angeklagten mehrfach erfolgreich das Gespräch mit russischen Diplomaten. Laut Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes, die in die Anklage eingeflossen sind, sollen die „Nachtwölfe“ unter dem Einfluss des russischen Geheimdienstes FSB stehen. Die deutschen Ermittler gehen demnach davon aus, dass russische Geheimdienste die gewaltsamen Ziele der Reichsbürgervereinigung kannten.

Russland habe die Reichsbürger jederzeit für „aktive Maßnahmen“ nutzen können, zitiert die Zeitung „Welt“ aus den Anklageschriften. So werden Handlungen wie etwa politische Beeinflussung oder Sabotageaktionen bezeichnet. Indizien für eine direkte Steuerung der Reuß-Gruppe durch russische Agenten lägen laut Anklage aber nicht vor.

Welcher Richter steht dem Strafsenat in Stuttgart vor?

Vorsitzender des 3. Strafsenats des Stuttgarter OLG ist Joachim Holzhausen. Er bringt 32 Jahre Erfahrung als Richter in das Verfahren ein. Prozessbeobachtern gilt er als sehr akribisch und strukturiert. Aber auch als Diplomat in der Robe, der Angeklagten und Zeugen Brücken baut, um zu reden. So brachte er in den 50 Verhandlungstagen des Verfahrens um die dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan nahe stehende, rockerähnliche Gruppierung „Osmanen Germania Boxclub” Zeugen alleine dadurch zum Reden, dass er sie so sprechen ließ, wie sie es gewohnt waren: „Reden sie einfach mit mir. Ich frage dann schon nach, wenn ich etwas nicht verstehe.”