Der Schraubenzieher hat ausgedient: moderne Langfinger sind auch in der Region Stuttgart hochspezialisiert und technisch hervorragend ausgerüstet, zeigt ein Prozess am Landgericht.

Böblingen - Die Diebe kamen nachts. Abgesehen hatten sie es auf Kleinbusse von Mercedes vom Typ Viano – der Neupreis beginnt bei 30 000 Euro, kann mit individueller Ausstattung aber auch das Doppelte kosten. Die Wegfahrsperre der Kleinbusse überwanden die Diebe vermutlich mit einem manipulierten Zündschlüssel – am nächsten Morgen mussten Autobesitzer in Leonberg, Sindelfingen, Magstadt oder Steinenbronn feststellen, dass ihre am Straßenrand geparkten Autos verschwunden waren.

 

Insgesamt 14 Fahrzeuge soll die Diebesbande Ende vergangenen Jahres in den Landkreisen Böblingen, Esslingen und Waiblingen gestohlen haben. Dafür müssen sich zur Zeit fünf Männer aus Polen vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten, das Urteil wird für Ende Juli erwartet. Der Prozess wirft auch ein Licht darauf, wie moderne Sicherheitstechnik das Vorgehen von Autodieben verändert hat.

„Superhirne“ suchen nach Sicherheitslücken im System

Insgesamt hat die Einführung von Elektronik das Geschäft der Kriminellen zwar erschwert: laut dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft ist die Zahl gestohlener Fahrzeuge innerhalb von zwanzig Jahren von mehr als 105 000 auf knapp 19 000 gesunken. Auf der anderen Seite erschlössen sich für Autodiebe aber auch neue Möglichkeiten. „Früher musste jeder einzelne Dieb das Händchen haben, um Schlösser zu knacken und dabei nicht irreparabel zu beschädigen“, erklärt der ADAC-Sicherheitsexperte Arnulf Thiemel. „Heute braucht es nur ein Superhirn, um die Sicherheitslücke im elektronischen System eines neuen Automodells zu finden.“ Wenn ein krimineller „Experte“ ein entsprechendes Gerät zum Überwinden der Wegfahrsperre programmiert habe, könnte dann fast jeder es benutzen – „das erfordert keine Fachkenntnis“.

Im vorliegenden Fall soll sich allerdings einer der Angeklagten – quasi als „Informatiker“ der Bande – auf das Öffnen der Kleinbusse diesen Typs spezialisiert haben. Gegen den mutmaßlichen Bandenchef sind in Deutschland weitere Verfahren anhängig – so soll er bei anderen Diebestouren 25 Autos der Marke BMW im Wert von 1,2 Millionen Euro entwendet haben. Möglicherweise hatte er dafür einen anderen, auf diesen Fahrzeugtyp spezialisierten „Informatiker“ engagiert.

Dass Autodiebstähle zunehmend als „Serie“ gleicher Modelle stattfänden, kann die Polizeisprecherin Tatjana Wimmer allerdings nicht bestätigen. „Das könnte aber auch daran liegen, dass Serien erst als solche erkennbar sind, wenn sie aufgeklärt worden sind“, sagt Wimmer.

Mercedes wird dreimal seltener geklaut als BMW

Weil Autodiebe Wert darauf legten, beim Aufbrechen von Autos nicht von Passanten erwischt zu werden, würden sie inzwischen häufig in Wohnungen oder Häuser einbrechen, sagt Arnulf Thiemel. „Denn viele Bewohner lassen die Autoschlüssel nahe der Eingangstür auf dem Sideboard liegen.“ Andere Banden hätten sich darauf spezialisiert, keine kompletten Autos, sondern nur besonders wertvolle Teile wie Navigationsgeräte oder Xenon-Scheinwerfer zu klauen. Im aktuellen Prozess wollten die Männer die Kleinbusse aber wohl am Stück weiterverkaufen.

Die Autobesitzer hatten dabei besonderes Pech. Denn Mercedes ist zwar die viertbeliebteste Marke von Autodieben, wenn man nur die absoluten Zahlen betrachtet: 2013 wurden mehr als 1000 Fahrzeuge mit Stern geklaut, aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor. Relativ gesehen werden Mercedes-Modelle aber viermal seltener als Audi und dreimal seltener als BMW geklaut.