Künstliche Intelligenz hält zunehmend Einzug in die Politik. Das wirft viele Fragen auf, meint unsere Kolumnistin Siri Warrlich. Zum Beispiel: Warum informieren Parteien kaum über den Einsatz? Und wer trägt Verantwortung im Falle des Scheiterns?

Die Idee für diesen Text stammt nicht von mir. Ich hatte ChatGPT um fünf Vorschläge gebeten, worüber ich meine nächste Kolumne schreiben könnte. Einer davon lautete: „Die Rolle von Künstlicher Intelligenz in der Politik“. Na, mein lieber ChatGPT, da nimmst du dich wohl selbst etwas wichtig, was? Könnte man meinen. Die Recherche allerdings ergab Interessantes.

 

Haben Sie zum Beispiel schon von Michihito Matsuda gehört? Der Japaner ist überzeugt, dass Künstliche Intelligenz bessere Entscheidungen treffen könne als Menschen. Für die Bürgermeisterwahl in Tama im Großraum Tokyo hatte Matsuda eine Idee: „Mit der Geburt des KI-Bürgermeisters werden wir faire Politik ohne Einschränkungen betreiben“, heißt es auf dem Kurznachrichtendienst X zu seiner Wahlkampagne. Matsuda stellte nicht sich selbst zur Wahl, sondern einen KI-Avatar. Das war 2018.

„Keiner hat’s gemerkt“, postete der SPD-Politiker Tiemo Wölken

Inzwischen spielt Künstliche Intelligenz auch in der Europapolitik eine Rolle. Das fängt bei KI-generierten Reden an. Tiemo Wölken sitzt für die SPD im EU-Parlament. Er will im Juni einer der Ersten gewesen sein, der im Plenum eine Rede hielt, die komplett von ChatGPT geschrieben war. „Und keiner hat’s gemerkt“, postete Wölken danach auf X. Auch Bilder, die KI erzeugt, sind täuschend echt. Im Sommer zog die Schweizer FDP mit einem Plakat in den Wahlkampf, das die Gemüter erhitzt: Fünf Klimaaktivisten sitzen in Warnwesten auf der Straße und blockieren einen Krankenwagen, der direkt vor ihnen steht. Die Szene hat es nie gegeben. Das Bild wurde mithilfe von KI erzeugt. Das steht auch auf dem Plakat – aber in so kleiner Schrift rechts oben in der Ecke, dass man fast eine Lupe braucht, um den Hinweis zu lesen.

Für die Landtagswahl in Bayern Anfang Oktober machte der Münchner SPD-Kandidat Lars Mentrup Wahlkampf mit einem KI-generierten Plakatmotiv. Darauf zu sehen: ein buntes Gebilde von Farbflächen und Linien, die entfernt an einen Verkehrsknoten erinnern. „Werk: DALL-E / Lars Mentrup. Digitalisierung, AI“ steht rechts in der Ecke des Plakats. DALL-E ist der Name eines KI-Bildgenerators. Aber ob das wohl jeder verstanden hat, der Mentrups Plakat hängen sah?

In Dänemark gründete sich gleich die „Synthetische Partei“

Eine Gruppe in Dänemark namens „Synthetische Partei“ nutzte KI in weitreichender Form. Medienberichten zufolge wollte die Gruppe im Vorfeld der Parlamentswahl 2022 Nichtwähler vertreten, die sich von den etablierten Parteien nicht repräsentiert fühlen. Die Gruppe um den Künstler Asker Staunæs nannte ihren KI-Chef „Leader Lars“, auf Deutsch etwa „Führer Lars“. Lars wurde mit Wahlprogrammen von Nischenparteien der letzten Jahrzehnte gefüttert und machte, darauf basierend, Vorschläge für seine Politik – zum Beispiel ein universelles Grundeinkommen für alle Bürger. Wählerinnen und Wähler konnten auf der Plattform Discord per Chat mit Lars ins Gespräch kommen. So berichtet es unter anderem das Magazin Vice.

Der Politikberater Martin Fuchs kritisiert, dass Parteien bislang zu intransparent mit Künstlicher Intelligenz umgingen. Vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen hatte Fuchs in beiden Bundesländern nachgefragt, ob die Parteien KI im Wahlkampf nutzen. Zunächst schrieben ihm alle: Nee, so was benutze man nicht. So schilderte es Martin Fuchs in einem Vortrag im September in Hamburg, der im Internet verfügbar ist. Fuchs wollte das nicht glauben und hakte noch einmal nach. Die Antworten einiger Parteien daraufhin: Ähm, doch, tatsächlich nutze man KI - zum Beispiel „für Kreativprozesse“ (Grüne in Bayern laut Fuchs in ihrer Antwort) oder „bei der Erstellung von Texten“ (Linke in Bayern). Das Kritische ist aus der Sicht von Martin Fuchs nicht der Einsatz von KI – sondern dass bislang kaum eine Partei eine Selbstverpflichtung zum Umgang mit KI im Wahlkampf habe. Solche Verpflichtungen seien aber notwendig, fordert Fuchs. Denn falsch eingesetzt, hat Künstliche Intelligenz das Potenzial, zum Beispiel mit unwahren Bildern rasant Desinformationen im Netz zu verbreiten und so das Vertrauen in demokratische Institutionen zu zerstören.

Allmählich nimmt das Thema Fahrt auf. Mitte Oktober veröffentlichte die FDP-Bundestagsfraktion eine Selbstverpflichtung zur verantwortungsvollen Nutzung von KI in ihrer politischen Arbeit, nach eigenen Angaben als erste Fraktion im Bundestag.

Eine von vielen Fragen zu Künstlicher Intelligenz in der Politik ist die nach der Verantwortung. Wer übernimmt sie, wenn Ideen scheitern? Wer wird dann abgesägt? Lars Mentrup, der Münchner SPD-Kandidat mit KI-Kunst auf dem Wahlplakat hat den Einzug ins Parlament verpasst. Der Bildgenerator DALL-E, der das Plakat gemalt hat, ist allerdings weiterhin im Dienst.