Der Hafen in Antwerpen ist Hauptumschlagplatz für Kokain in Europa. Das hat Auswirkungen auf den gesamten Staat. Nun sollen die Kriminellen grenzüberschreitend härter bekämpft werden.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Der spektakuläre Zugriff war von langer Hand geplant. Dennoch staunte die Polizei nicht schlecht, als sie in diesen Tagen in Antwerpen ein Lagerhaus im Stadtteil Wilrijk stürmte. Die Einsatzkräfte stellten rund sechs Tonnen Kokain sicher, der Marktwert übersteigt wohl 200 Millionen Euro. Im Zuge der Ermittlungen wurden zudem rund ein Dutzend Personen festgenommen.

 

In jeder anderen Stadt Europas würde ein solcher Erfolg riesige Wellen schlagen – nicht so in Antwerpen. Für die Polizei in der belgischen Hafenstadt gehört der Kampf gegen die Drogenmafia seit Jahren zum mühsamen Alltag. Antwerpen ist inzwischen der größten Umschlagplatz für Kokain in Europa.

Nur die kleinen Fische gehen ins Netz

Zudem müssen die Beamten mit zwei Gewissheiten leben. Zum einen erwischen sie meist nur die kleinen Fische, die wichtigen Hintermänner des Drogenschmuggels bleiben für sie unerreichbar. Zum anderen sind auch die spektakulären Kokainfunde nur die Spitze des Eisbergs - ärgerlich für die Drogenbanden, aber ohne große Auswirkungen auf den Markt. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht schätzt, dass eine Tonne Kokain gefunden wird, gleichzeitig aber neun weitere Tonnen unbemerkt den Zoll passieren. Zur Einordnung: in Antwerpen wurde 2023 die Rekordmenge von 116 Tonnen Kokain sichergestellt.

Für die Zollbeamten vor Ort ist ihrer Arbeit die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Der Hafen von Antwerpen erstreckt sich rechts und links der Schelde auf über 130 Quadratkilometern, die durchzogen sind von einem Geflecht aus rund 400 Kilometer Straßen und über 1000 Kilometern Schienen. Jedes Jahr werden in Antwerpen zwölf Millionen Tonnen Container umgeschlagen. Doch nicht nur wegen dieser schieren Größe der Hafenanlage ist die Suche schwierig, möglich macht den florierenden Schmuggel auch die Korruption in großem Stil, wie die EU-Beobachtungsstelle unterstreicht. Hafenarbeiter, private Wirtschaft, Regierungsangestellte - alle hingen zum Teil in den Geschäften mit drin.

Die Gewalt unter den Kriminellen nimmt zu

Das Kokain scheint in Antwerpen zudem nicht nur für den Weitertransport bestimmt zu sein. Eine Untersuchung der Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht ergab, dass Antwerpen die Stadt ist, in deren Abwasser die höchste Konzentration an Kokainrückständen zu finden ist – gefolgt von Amsterdam, Zürich, Barcelona und Paris.

Die oft vergebliche Suche nach dem Kokain ist für die Polizei allerdings nur eine Aufgabe. Zum größeren Problem wird inzwischen, dass die Schmugglerbanden immer gewalttätiger werden und längst nicht mehr nur im Verborgenen handeln. Immer wieder berichten belgische Medien von einem regelrechten „Drogenkrieg“ in den Straßen von Antwerpen. Fast täglich kommt es zu Schießereien, Sprengsätze explodieren. Spektakulärer Höhepunkt der Entwicklung war, dass vor zwei Jahren von der Polizei in letzter Minute die Entführung des damaligen belgischen Justizministers Vincent Van Quickenborne vereitelt werden konnte. Der hatte der wuchernden Drogenkriminalität den Kampf angesagt und sollte offensichtlich zu Schweigen gebracht werden.

Die Dealer kämpfen um ihre „Territorien“

Aktuell große Sorge bereitet den belgischen Sicherheitskräften, dass die Welle der Gewalt inzwischen auch in die nur knapp 40 Kilometer entfernte Hauptstadt Brüssel schwappt. Dort geht die Zahl der registrierten Verbrechen im Zusammenhang mit Drogenkriminalität geradezu durch die Decke. Als Grund nennt die Polizei, dass der Kampf um die „Territorien“ schärfer geworden sei. In Brüssel hätten inzwischen albanische Clans die Führung übernommen, für die die Stadt eine Art logistischer Knotenpunkt geworden sei. Die importierten Drogen würden von dort nach Südosteuropa weitertransportiert.

Frustrierend für die Ermittler ist, dass die Täter mit ihnen oft Katz und Maus spielen. Die kriminellen Netzwerke von Belgien und den Niederlanden seien eng miteinander verzahnt, erklärte der niederländische Kriminologe Cyrille Fijnhout der Tageszeitung „De Volkskrant“. „Niederländische Kriminelle gehen nach Belgien und umgekehrt, sie missbrauchen die Grenze, um der eigenen Polizei und Justiz zu entgehen.“ Fijnhout erkennt mafiaähnliche Strukturen in beiden Ländern. „Wir sehen, dass die Grundzüge der Mafia übernommen werden bis zur höchsten Ebene, wie Gewalt gegen den Staat.“ Damit lege der Kokainhandel auch den Keim für andere Formen der Kriminalität wie Geldwäsche, Korruption und Immobilienbetrug.

Eine Europäische Hafenallianz soll helfen

Inzwischen wurde auch in der Politik erkannt, dass diesem Treiben nicht mehr tatenlos zugesehen werden kann. Auf Anregung der belgischen Innenministerin Annelies Verlinden wurde deshalb Anfang dieses Jahres in Antwerpen eine Europäische Hafenallianz ins Leben gerufen. Etwa 20 europäische Häfen sollen sich daran beteiligen, darunter die deutschen Häfen Hamburg und Bremerhaven. In Hamburg waren im vergangenen Oktober fünf Hafenarbeiter verhaftet worden, die sich am Kokainschmuggel in Schiffscontainern beteiligt haben sollen.

Die belgische Innenministerin mahnte in Antwerpen, im Kampf gegen die mächtigen und flexiblen Drogenbanden müssten die Behörden in Europa ihre Kräfte bündeln, mehr Informationen austauschen und sich besser miteinander abstimmen. An der Allianz beteiligt sind auch Europol und privatwirtschaftlichen Organisationen wie Schifffahrtsverbänden.

Fehlende Ausrüstung im Kampf gegen die Schmuggler

Doch damit nicht genug. Anfang Mai soll in Hamburg ein Ministertreffen stattfinden, bei dem Deutschland, die Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien und Italien die Koordinierung ihres gemeinsamen Kampfes gegen organisierte Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftkriminalität, vorantreiben wollen. Kritiker verlangen das schon seit Jahren. In ihren Augen reicht es nicht aus, korrupten Hafenarbeitern das Handwerk zu legen oder Drogenlager auszuheben. Sinnvoller seien mehr Befugnisse für die Ermittler in Sachen Geldwäsche und Datenschutz und ein Blick nach Italien könne zeigen, wie scharfe Anti-Mafia-Gesetze aussehen sollten.

Die Zollbeamten in Antwerpen hören solche Diskussionen seit Jahren. Ihnen würde es im Moment allerdings schon reichen, wenn sie nach vielen leeren Versprechungen im Kampf gegen die Schmuggler technisch besser ausgerüstet würden. So verfügt der ganze Hafen derzeit über einen einzigen mobilen Scanner zum Aufspüren von in Containern versteckten Drogen. Dieses Jahr sollen fünf weitere Scanner geliefert werden. Statt derzeit ein bis zwei Prozent der Container sollen künftig zumindest alle Container gescannt werden, die aus sogenannten Risikoländern in Südamerika oder Westafrika kommen.