Die ATP-Finals in Turin sind längst zu Jannik-Sinner-Festspielen geworden. Dem Italiener fliegen die Herzen seiner Landsleute zu. Die eigentlichen Lieblinge der Nation stehen im Schatten.

Die Huldigungen der italienischen Tennis-Fans sind Jannik Sinner selbst ein bisschen unheimlich. Ungläubig schaute er am Donnerstagabend kurz vor Mitternacht ins weite Rund des Pala Alpitour von Turin, wo die Zuschauer ihn mit lauten Sprechchören feierten. Das inzwischen schon Kult gewordene „Ole, Ole, Ole, Ole, Sinneeeer, Sinneeeer“ hallte durch die Arena. Und Sinner genoss die Ovationen, so richtig fassen kann er die riesige Euphorie seiner Landsleute um seine Person aber nicht.

 

Der 1,88 Meter große Schlaks mit den roten Haaren ist in Italien derzeit sogar wichtiger als die Squadra Azzurra. Obwohl Italiens Fußballer am Freitagabend gegen Angstgegner Nordmazedonien um die Qualifikation für die Europameisterschaft 2024 in Deutschland kämpften, bestimmten nicht sie, sondern Sinner die Titelseiten der italienischen Sportzeitungen. Im Fernsehen schalteten mehr als drei Millionen Menschen ein.

Sinner: „Ich bin noch nicht fertig“ 

„Jannik, was für eine Geschichte!“, schrieb „Tuttosport“. „Der Traum lebt weiter“, war bei „Corriere della Sera“ zu lesen. Und „La Gazzetta dello Sport“ schrieb über ein großes Bild des jubelnden Shootingstars in großen Lettern einfach nur „SIIINNER“.

„Es ist ein tolles Gefühl, das hier in Italien erleben zu dürfen“, sagte der Südtiroler nach seinem dritten Sieg im dritten Spiel bei den ATP-Finals. Als erster Italiener hat Sinner beim Saisonabschluss der besten acht Tennisprofis des Jahres das Halbfinale erreicht - und das auch noch ungeschlagen. „Es bedeutet mir sehr viel, aber ich bin noch nicht fertig“, sagte der 22-Jährige.

Schon seit einigen Jahren sagen Experten Sinner eine große Zukunft voraus. 2019 gewann er mit 18 Jahren die Next Generation ATP Finals, bei denen die besten Nachwuchsspieler der Welt aufeinandertreffen. Danach etablierte sich Sinner Stück für Stück in der Weltspitze, holte bislang bereits zehn Titel auf der ATP-Tour. Allein in diesem Jahr gewann der Italiener bereits vier Turniere, darunter in Toronto erstmals ein Masters-1000-Event.

Er war einst ein begnadeter Skifahrer

Nur bei den Grand Slams wollte es für Sinner bislang nicht wie gewünscht klappen. Erst in Wimbledon stieß er im Sommer erstmals bis ins Halbfinale vor, wo gegen Novak Djokovic Endstation war. Bei den US Open lieferte er sich im Achtelfinale ein episches Match gegen Alexander Zverev, in dem er sich am Ende unter Krämpfen nach 4:41 Stunden geschlagen geben musste.

In Turin präsentiert sich Sinner, der als Kind ein begnadeter Skifahrer und sogar italienischer Jugendmeister war, aber topfit. Zum Start ließ er dem Griechen Stefanos Tsitsipas in zwei Sätzen keine Chance, dann rang er Djokovic in drei hochklassigen Sätzen nieder - sein erster Sieg gegen den Weltranglisten-Ersten aus Serbien. „Ihm, Carlos Alcaraz und Holger Rune kann die Zukunft des Tennis gehören“, sagte Djokovic voller Respekt über Sinner.

Traumfinale erwünscht

Zum Abschluss der Gruppenphase folgte für den Italiener noch ein Premierensieg gegen den von Boris Becker trainierten dänischen Jungstar Holger Rune. Sinners Bilanz in Turin ist bislang makellos. „Es war wichtig für mich, dass ich den Sieg gegen Djokovic bestätigen konnte“, sagte er nach seinem Dreisatzerfolg gegen Rune, durch den er Djokovic ebenfalls ins Halbfinale verhalf. „Er hat Djokovic gerettet, um ihn nochmal schlagen zu können“, schrieb „La Gazzetta dello Sport“ mit Blick auf das erwünschte Traumfinale am Sonntag.