Im Kreis Böblingen begleiten in 20 der 26 Kommunen Ehrenamtliche vor allem Hauptschüler auf dem Weg in das Berufsleben. Eine von ihnen ist Dagmar Sowa. In Herrenberg gibt es das Projekt seit zehn Jahren.

Herrenberg - Höhen und Tiefen hat Dagmar Sowa mit ihrer ersten Patenschülerin erlebt. Mal war sie Vertraute der Jugendliche, mal ließ das Mädchen nichts mehr von sich hören. Trotz des Auf und Ab in der Beziehung hat Dagmar Sowa nie bereut, sich bei dem Herrenberger Projekt „Patenschafts Schule – Beruf“ gemeldet zu haben. Dabei begleiten Erwachsene Jugendliche beim Übergang von der Schule ins Berufsleben, „Das macht total Spaß“, sagt die 50-Jährige, „man bekommt viel zurück.“ Dieses Jahr feiert das preisgekrönte Projekt wie auch sein Böblinger Pendant das zehnjährige Bestehen.

 

Dagmar Sowa war auf der Suche nach einem Ehrenamt. Einem, das sich auch noch mit ihrem Beruf als Verwaltungsangestellte unter einen Hut bringen lässt. Zufällig las sie im Gemeindeblatt über das Patentprojekt. Und weil sie offen und neugierig ist, meldete sich Dagmar Sowa. Nicht ohne sich zu fragen: „Schaffe ich das? Was erwartet mich?“ Die Projektkoordinatorin Oda Kauffer teilte ihr eine 15-Jährige zu. „Für sie war Freizeit wichtiger was als alles andere“, charakterisiert Dagmar Sowa ihre erste Patenschülerin. Sich selbst dagegen beschreibt die gebürtige Stuttgarterin als sehr korrekt: „Das erwarte ich auf von anderen.“ Trotz der unterschiedlichen Charaktere entwickelten Patin und Schülerin einen Draht zu einander.

Ehrenamtliche treffen sich und tauschen sich aus

„Sie hat jemanden zum Reden gebraucht“, sagt Dagmar Sowa heute, die nichts hinter dem Rücken ihrer Patenschülerin tat. So wollte die junge Frau etwa nicht, dass ihre Patin wie sonst üblich Kontakt zu Eltern und Lehrern aufnimmt. Dagmar Sowa hielt sich daran. Sie erzählte auch ihrem Mann nichts von den Sorgen und Nöten ihrer Patenschülerin. Etwa einmal die Woche traf Dagmar Sowa die 15-Jährige – weder bei sich noch bei ihr daheim.

„Wir haben schon eine intensive Beziehung aufgebaut“, sagt Dagmar Sowa. Umso mehr verletzte es sie, als ihre Patenschülerin plötzlich den Kontakt abbrach. „Das war schmerzhaft“, gibt Dagmar Sowa zu, die ins Grübeln gerät: „Ich hab’ mich gefragt: Will ich die Patenschaft noch?“

In solchen Phasen sind die Ehrenamtlichen des Projekts nicht allein. Sie treffen sich regelmäßig und tauschen sich über ihre Erfahrungen mit ihren Schützlingen aus. Ansprechpartner für die Helfer ist immer auch Oda Kauffer. Sie koordiniert das Projekt, das der Stadtseniorenrat, der Stadtjugendring und der Verein für Jugendhilfe tragen. Oda Kauffer präsentiert das Modell, das sich vor allem an Haupt- und Werkrealschüler richtet, in den Klassen den Schülern und bei Elternabenden den Müttern und Vätern. Sie bereitet Informationsabende für die Werbung neuer Paten vor und stellt die Schüler-Paten-Teams zusammen.

„Wir sind stolz, dass das Projekt seit zehn Jahren läuft und wir noch keinen Jugendlichen ablehnen mussten“, sagt Oda Kauffer. 185 Patenschaften wurden in der Vergangenheit übernommen, aktuell laufen rund 40. Für die Nachhaltigkeit wurde das Projekt 2014 mit dem Förderpreis der Region Stuttgart ausgezeichnet. Die Ehrenamtlichen helfen den Schülern dabei, einen Praktikumsplatz zu finden, unterstützen sie beim Schreiben von Bewerbungen, halten den Kontakt zu Lehrern, Eltern und Ausbildern. Auf zwei Jahre sind die Patenschaften angelegt. „Nicht jede Patenschaft hält so lange“, berichtet Kauffer, „andere hingegen dauern dafür fünf oder sechs Jahre.“

Patenschülerinnen sind sehr unterschiedlich

Drei Jahre waren es bei Dagmar Sowas ersten Patenschülerin. Ein klärendes Gespräch war notwendig, damit die beiden wieder zusammenfanden. Zu ihrer Abschlussfeier lud die Jugendliche Dagmar Sowa ein und stellte sie ihren Eltern und Lehrern vor. Nach der Hauptschule sattelte die Schülerin die zweijährige Wirtschaftsschule drauf. Am Ende hätte sie drei Azubiplätze haben können. Heute macht die junge Frau eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Kontakt hat sie nicht mehr zu Dagmar Sowa: „Schade, aber ich muss damit leben.“

„Ich habe sehr viel darüber gelernt, wie Jugendliche ticken“, sagt die Wahl-Nufringerin. Dagmar Sowa betreut ihre zweite Patenschülerin, die ganz anders ist als ihre erste. Die 16-Jährige sei sehr strebsam, sehr leistungsorientiert und sehr pflichtbewusst. „Sie nimmt jede Unterstützung an, die sie kriegen kann.“ Gemeinsam suchen sie im Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur nach Ausbildungsberufen und schreiben Bewerbungen.

„Faszinierend ist, wie unterschiedlich die Menschen seien, ihre Bedürfnisse und Hilfestellungen, die sie benötigten“, sagt Dagmar Sowa über ihr Ehrenamt. Wenn die aktuelle Patenschülerin ihre Hilfe nicht mehr braucht, ist eines für sie klar. „Ich werde wieder eine Patenschaft übernehmen“, sagt die 50-Jährige und strahlt.

Flächendecken im Kreis

Anfänge
Die Keimzelle des kreisweiten Patenmodells war Schönaich. Im Februar 2000 starteten dort Ruheständler, Berufstätige und Selbstständige die Patenschaftsaktion, um Hauptschülern den Weg ins Berufsleben zu ebnen. Das Projekt macht Schule. „Wir sind Vorbild für Berlin, Hamburg und 23 weitere Kommunen“, sagt der Landrat Roland Bernhard.

Ausbau
In den Jahren 2006 bis 2008 sei das Patenprojekt kreisweit ausgebaut worden, sagt Frank Arnold, der Projektkoordinator. Der Kreis richtete dazu die Koordinierungsstelle ein (www. patenaktion.de). In 24 der 26 Kreiskommunen wurde das Projekt installiert. Nach dem Umbau des Schulsystems mit Werkrealschulen und Gemeinschaftsschulen haben sich laut Arnold die Standorte auf 20 reduziert.

Umbau
Etwa 360 Patinnen und Paten sind im Kreis Böblingen aktiv. Heute gehe es nicht mehr nur darum, Jugendliche in die Ausbildung zu vermitteln, so Arnold, sondern auch um den Reifeprozess der Schüler, um Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Vertrauen. Die Fülle der Möglichkeiten mache die Orientierung bei der Berufsfindung so schwierig. „Als wirtschaftsstarker Standort ist es unsere Aufgabe, jedem jungen Menschen eine Zukunftsperspektive zu bieten“, sagt der Landrat über das Projekt.