Starke Stücke mit starken Frauen: das Stuttgarter Schauspiel hat das Festival „Terrorisms“ erfolgreich eröffnet. In dem Monolog „Am Boden“ brilliert Astrid Meyerfeldt als Kampfpilotin.

Stuttgart - Terror ist nicht zu übersehen, nicht zu überhören. Gewehrsalven, Detonationen, Granatfeuer: Angriffe auf die öffentliche Ordnung dringen mit blutig zerfetzten Leibern, mit Sirenengeheul und hektischen Rettungsmaßnahmen in unser Bewusstsein. Ob Kobane oder Bagdad, Kabul oder Masar-i-Sharif – Terror erzeugt Chaos, überall auf der Welt, was im Umkehrschluss der Grund sein mag, dass das Nachdenken über den organisierten Schrecken ganz andere, zum lärmenden Aufruhr strikt konträre Formen annehmen kann. Zumindest im Idealfall: leise, konzentriert, ganz auf das jeweilige Bühnengeschehen fokussiert ist am Mittwochabend im Stuttgarter Schauspiel das bis Sonntag laufende Festival „Terrorisms“ eröffnet worden.

 

Im Zentrum des fünftägigen Theatertreffens stehen Uraufführungen aus Oslo und Reims, aus Belgrad, Tel Aviv und der Gastgeberstadt Stuttgart. Um den Kern des Festivals aber haben die Macher eine nationale, im Schauspiel produzierte Schale aus drei Inszenierungen gelegt, die nun zum Auftakt zu sehen waren: „Am Boden“ des US-Autors George Brant, die „Tägliche Terror-Rundschau“ von Peter Britz sowie „Wir sind nicht das Ende“ von Carsten Brandau.

Von der Air-Force zur Chair-Force

So sehr sich diese Arbeiten in Form und Inhalt unterscheiden, so sehr verbindet sie doch der intime Zugang zum Terror-Thema. Die sich sonst auf öffentlicher Bühne zeigenden Phänomene – Attentat und Bürgerkrieg, globale Überwachung und Einschränkung von Freiheitsrechten – werden heruntergebrochen auf den privaten Alltag und gewinnen eine Anschaulichkeit, mit der im Vorfeld des Unternehmens nicht unbedingt zu rechnen war. Das Festivalmotto „Terrorisms“ ist ein abstraktes Kunstwort – dass es jetzt mit Leben gefüllt wurde, lässt wohl nicht nur die Festivalbesucher aufatmen.

„Am Boden“ von George Brant: der Autor erzählt die Geschichte einer US-Pilotin, die aufgrund einer Schwangerschaft vom Kampfjet an den Bildschirm eines Computers versetzt wird. „Vom Blau“ des Himmels „ins Grau“ der Wüste, wie die namenlose Frau betont, die nun via Joystick in den Krieg zieht. Als es um den Irak ging, saß sie noch in ihrem „Tiger“ genannten Jet, jetzt aber geht das Spiel anders. Von der „Air-Force zu den Sesselfurzern der Chair-Force“ verdammt, steuert sie in einem in der Wüste von Nevada liegenden Container die Drohnen über Afghanistan und Pakistan. „Krieg, Bedrohung und Tod ist aus meinem Leben verschwunden“, sagt das Fliegermädchen und lügt sich damit in die Tasche, denn am Ende wird die Joystick-Bomberin an ihrem Job zerbrechen.

Wärmebild der eigenen Familie

Als Kampfpilotin sitzt Astrid Meyerfeldt auf der Bühne des Schauspielhauses. Lesetisch, Leselampe und eine Leinwand, die in unwirklich blassen Farben die tägliche Fahrt zur Arbeit zeigt: Mehr braucht Meyerfeldt nicht, um den mit einem dichten Motivnetz durchzogenen Monolog von George Brant furios zu interpretieren. Während sie liest, schnell, hart, den rüden Militärjargon auch in zärtlichen Szenen nicht verlassend, wird die Herrin der Drohnen selbst zur Drohne. Außer kühler Beobachtung steht ihr bald nichts mehr zu Gebote, denn selbst das Bild, das sie sich von ihrer Familie macht, verschwimmt ihr zu einem Wärmebild, das aus der Luft ein gutes Zielobjekt wäre – bis zu dem Punkt, an dem Meyerfeldt erste Risse im maskulinen Panzer der Frau aufscheinen und deren Verhalten sachte ins Merkwürdige gleiten lässt. Am Ende landet die Pilotin wegen Befehlsverweigerung im Militärgefängnis und also „im Grau“ eines Betonbunkers.

Auch wenn der Krieg immer abstrakter wird, sind Bedrohung und Tod mitnichten aus dem Leben der Soldatin gewichen. Im Gegenteil, der Schrecken frisst sich in ihre Seele und wohl auch tief ins Herz der Großmacht. Die USA sind moralisch „am Boden“, nicht weniger als die andere Großmacht, der in der unmittelbar folgenden Inszenierung die Leviten gelesen werden. Denn das ist von den Festivalmachern dramaturgisch klug austariert worden: In der „Täglichen Terror-Rundschau“ tritt Anna Politkowskaja auf, die von Gabriele Hintermaier gespielte russische Journalistin, die 2006 in Moskau ermordet wurde.

Psychoduell mit 9/11

Ähnlich wie zuvor ist das Setting, jetzt im Malsaal des Schauspielhauses, privat und schlicht. An ihrem Schreibtisch blättert sich Hintermaier/Politkowskaja lesend durch ihre Reportagen aus dem TschetschenienKrieg. Mit hoher Beschreibungspotenz verwandelt die Autorin ihre Berichte in literarische Anklagen des Terrors, der aus Putins Russland kommt – und man hätte Stecknadeln fallen hören, so atemlos lauschte das Publikum der szenischen Lesung, bevor es dann weiterzog auf die Probebühne zu „Wir sind nicht das Ende“: einem ebenfalls auf Doku-Material basierenden Psychoduell zwischen Mann und Frau, Birgit Unterweger und Günther Harder, wobei sich die Brisanz des Liebeskampfs erst allmählich aus dem Bühnendunkel schält. Der Mann verlässt seine Frau, um sich in den USA an den Attentaten des 11. Septembers zu beteiligen.

Drei starke, überraschende Stücke zum Auftakt von „Terrorisms“ – ob das Stuttgarter Festival in dieser Güte weitergeht, muss sich weisen. Die Erwartungen sind auf jeden Fall schon mal geweckt.

Termine
An diesem Freitag gastiert das Nationaltheater Belgrad mit „The Dragonslayers“ (20 Uhr), am Samstag das Habima-Theater aus Tel Aviv mit „God waits at the Station“ (17 Uhr, 20.30 Uhr), am Sonntag die Comédie de Reims mit „La Baraque“ (17 Uhr, 20.30 Uhr).