In den sozialen Netzwerken kursieren etliche Falschmeldungen, vor allem zu Flüchtlingsthemen. Ein Deutscher und ein Österreicher haben es zu ihrer Mission gemacht, diese zu entlarven.

Wien - Wie zwei Detektive sitzen Andre Wolf und Tom Wannenmacher vor ihren Bildschirmen in einem hellen Dachgeschoss-Büro in Wien. Wenn sich Gerüchte, Halbwahrheiten und Lügen ihren Weg durchs Internet bahnen, sind der 38-jährige Deutsche und der 45-jährige Österreicher nicht zu stoppen: Erhält ein Flüchtling im Landkreis Rostock 1004,50 Euro monatlich bar auf die Hand? Müssen Wiener Sozialbau-Mieter bei der Zubereitung von Schweinefleisch künftig die Fenster geschlossen halten? Und, ist ein Mädchen gestorben, weil es an einem Handyladekabel gelutscht hat? Drei von unzähligen Fragen, auf die Wolf und Wannenmacher eine einzige Antwort fanden – Achtung, Falschmeldung. „Wenn überzogene Dramatik im Spiel ist oder etwas nach dem Muster ‚Die Tochter einer Freundin meiner Mutter hat erzählt‘ gestrickt ist, ist an der Sache oft was faul“, weiß Wolf.

 

Was ist Lüge, was ist wahr? Rund um diese Schnittstelle dreht sich die tägliche Arbeit der zwei Macher von Mimikama, einem Verein zur Bekämpfung von Internetmissbrauch, den der gelernte Konditor Tom Wannenmacher – nachdem er selbst Opfer eines Internetbetrugs geworden war – im Jahr 2011 auf die Beine gestellt hat. Damit ist er auf eine riesige Marktlücke gestoßen: das Orientierungsbedürfnis der Internetnutzer im virtuellen Lügenlabyrinth. „Zuerst dachte ich, das wird nur so eine Nebenher-Sache, aber innerhalb kürzester Zeit hat das so eine Dynamik entwickelt, dass das auf einmal mein Hauptjob war“, erzählt Wannenmacher. Er holte sich dieses Jahr außerdem den Westfalen Andre Wolf mit an Bord. Arbeitsüberlastung war der Grund, denn mittlerweile meldeten sich 100 bis 150 Nutzer täglich, um suspekte Internetinhalte überprüfen zu lassen. Im Fokus der Mimikama-Ermittlungen steht Facebook – der Hauptumschlagplatz für Falschmeldungen.

1,5 Milliarden Nutzer weltweit sind auf Facebook aktiv, und immer mehr informieren sich dort auch über aktuelle Geschehnisse. Laut einer aktuellen Umfrage des Branchenverbandes Bitkom dienen soziale Netzwerke bereits gut einem Fünftel der deutschen Nutzer als Nachrichtenquelle. Facebook steht mit Abstand an Stelle eins. Eine der beliebtesten Funktionen ist das Teilen von Inhalten, die so nach dem Schneeballprinzip in Windeseile oft tausende Menschen erreichen. Problematisch wird es dann, wenn sich darunter Fakes befinden – vorgeblich offizielle Briefe öffentlicher Institutionen, Bilder in falschem Kontext oder schlicht erfundene Meldungen. „Mittlerweile“, lacht Wolf, „kann ich Falschmeldungen förmlich riechen.“

Ehrenamtliche helfen bei der Recherche

Doch riechen ist nicht genug, man braucht Beweise, das macht die Arbeit von Wolf und Wannenmacher aus: Behörden werden angerufen, Bilder geprüft, Quellen analysiert und Spuren rückverfolgt. Synchron dazu treffen auf ihren Bildschirmen im Minutentakt Nachrichten des elfköpfigen ehrenamtlichen Teams ein, das – verstreut über Österreich, Deutschland und die Schweiz – selbst auf der Suche nach der Wahrheit ist und das Duo in Wien mit Recherchehinweisen versorgt. Ist ein Fall gelöst, wandert dieser samt Dokumentationsmaterial auf die Mimikama-Facebookseite „Zuerst denken – dann klicken!“.

Ein besonders heißes Eisen dort sind Flüchtlingsthemen. Denn je virulenter die Flüchtlingskrise wurde, umso mehr Fakes spürten die beiden auf. Etwa jenes Bild, das vorgab, von Flüchtlingen hinterlassene Müllberge zu dokumentieren. Richtig aber ist: Es handelt sich um ein Foto aus dem Jahr 2012 und zeigt eine illegale Mülldeponie im ungarischen Debrecen. Oder die Meldung über den Rausschmiss von Senioren eines Altersheims in Kreuzau-Drove zwecks Unterbringung von 300 Flüchtlingen. Die Recherchen ergaben: das Heim hätte so oder so geschlossen, auch ohne Flüchtlinge. „Manche Falschmeldungen sind das Resultat missverstandener Zusammenhänge“, meint Wolf, „aber gerade bei Flüchtlingsthemen steckt tendenziell Bösartigkeit dahinter.“

Den Verein plagen Geldsorgen

Doch wie wirkungsvoll sind die Richtigstellungen von Mimikama überhaupt? „Falschmeldungen sind im Vorteil, weil sie schneller und dramatischer sind“, gibt der 38-jährige Westfale zu. „Wenn über einen U-Bahn-Unfall mit Toten berichtet wird, hat die Meldung, dass dem gar nicht so war, naturgemäß weniger Zugkraft.“ Und dennoch: die Masse, die sich gegen Falschinformationen wehrt, hat längst eine kritische Größe erreicht: 595 000 Anhänger zählen die zwei Mimikama-Macher auf ihrer Facebook-Seite, und diese helfen mit, die Wahrheit im Netz zu verbreiten.

Bliebe nur noch eines: die liebe Not mit dem Geld. Mehr schlecht als recht finanziere man sich derzeit über Werbung, erzählen die beiden. Die Sorge, dass ihnen eines Tages die Arbeit ausgeht, plagt sie dagegen ganz und gar nicht. Wolf: „Falschmeldungen wird es immer geben. Die Lüge ist so alt wie die Menschheit.“