Auch unter Jürgen Klopp gewinnt der englische Traditionsclub FC Liverpool nicht immer. Dennoch hat der deutsche Trainer auf de Insel einen wahren Hype entfacht.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Jürgen Klopp ist ziemlich unterhaltsam. Das ist in Deutschland schon lange bekannt. Für Pressekonferenzen mit ihm hätte man Eintritt verlangen können. Mit seinem Sidekick Josef Schneck, dem ehemaligen Dortmunder Pressechef, lieferte Klopp auf dem Podium Darbietungen ab wie einst Harald Schmidt mit Partner Manuel Andrack. Diesen Humor lernt nun die Premier League kennen. Am Sonntag verlor Klopps FC Liverpool, in Watford, mit 0:3. In Watford! Mit 0:3! Und was geschah? Klopp, zunächst angefressen, sorgte mit ein, zwei schlagfertigen Sprüchen in der Pressekonferenz am Ende für heitere Stimmung unter Journalisten und Fans. Nach einem, wie gesagt, 0:3 bei dem, zugegeben, starken Aufsteiger Watford.

 

Klopp ist bereits Kult, und das kaschiert zurzeit die zuletzt mäßigen Ergebnisse der „Reds“. Anhänger und Presse sind noch damit beschäftigt, diesen Typen kennenzulernen, der sie fasziniert und irritiert.

Er ist, wie der Brite sagt, „entertaining“ wie kein anderer Trainer, leidenschaftlich wie kaum ein Zweiter, er pflegt oft einen kumpelhaften Umgang mit Spielern, dazu trifft er mit seinem geerdeten Auftreten den Nerv der Fans. Auf der anderen Seite hat er diese dunkle Seite der Macht in sich, die England kürzlich nach dem 2:2 gegen West Bromwich kennenlernte. Den Dämon an der Linie, der im Eifer des Gefechts bisweilen gegenüber Gegner, Schiedsrichter, Journalisten den Anstand vergisst.

Er ist: Heavy Metal in der Coachingzone.

Kontrast zu Mourinho oder van Gaal

Einen wie Jürgen Klopp haben sie auf der Insel noch nicht gesehen. Sie kennen Typen wie José Mourinho, der eine ordentliche Portion Arroganz und Antipathie ins Spiel brachte. Oder den selbstgefälligen Louis van Gaal und Arsène Wenger, den französischen Gentleman, der als Spezialist gilt, keine Titel zu gewinnen. Zumindest hat das Intimfeind Mourinho gesagt. Klopp selbst hatte sich als „The normal one“ vorgestellt und so den Hype um die Liaison Klopp und „The Kop“, wie die legendäre Fantribüne heißt, noch mal potenziert; der Liverpool Football Club druckte den Spruch sogleich auf T-Shirts. Flankiert wurde das von Bildern eines Mannes, der abends im Pub ein Bier trinkt, der raucht und Spaß am Leben hat. Die Schnappschüsse vom neuen Teammanager, der sich wie du und ich in der Stadt bewegte, verbreiteten sich rasant in den sozialen Netzwerken. Klopp ist so normal, dass er in der Szene schon besonders ist. Er verkörpert für viele Fans auf der Insel die Gegenthese zum abgehobenen Fußball.

Die Fans liegen Klopp zu Füßen, und weiß Gott nicht nur die Anhänger des FC Liverpool. Er gibt, so äußern sich auch viele Anhänger anderer Clubs im Internet, den Fans den Fußball zurück. Als er nach dem 2:2 gegen West Bromwich Hand in Hand mit den Spielern in die Kurve ging, explodierte das Netz verzückt – in der Premier League sind solche Gesten nicht üblich.

Der 48-Jährige erfrischt die Premier League, der englische Fußball entdeckt mit Klopp Neuland – und die Fans saugen jedes Detail auf. Im englischsprachigen Teil des Netzes ist er längst der Hit: Der Kult um Klopp verbreitet sich viral in atemberaubender Geschwindigkeit: Facebook, Twitter, Instagram, Youtube. Große Portale wie „The Sport Bible“, „101GreatGoals“ oder „FourFourTwo“, aber auch die Zeitungen überbieten sich. Klopp hier. Klopp dort. Klopp überall. Und der FC Liverpool füttert fleißig und postet Bilder und Videos von Klopp im Akkord. In Sachen Social Media ist er schon jetzt der Tabellenführer, bei seiner Präsentation war er an dem Tag bei Twitter das weltweit meistdiskutierte Thema, die Reichweite war größer als bei jeder anderen Trainervorstellung jemals.

Klopp. The Kop. Cool.

Neues Selbstbewusstsein in Liverpool

Seit er an der Anfield Road wirkt, entspricht zumindest die mediale Aufmerksamkeit wieder der großen Geschichte dieses großen Clubs mit seinem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, das so sehr gelitten hat. Die letzte Meisterschaft wurde 1990 gefeiert, der Champions-League-Triumph in jener magischen Nacht in Istanbul gegen den AC Mailand liegt auch schon mehr als zehn Jahre zurück (2005). 2014 wurden sie immerhin Vizemeister. In den vergangenen 18 Monaten verließen dann Luis Suarez, Raheem Sterling und Steven Gerrard den FC Liverpool. Und mit ihnen der Traum der großen Renaissance.

Dann kam Klopp. Die gute Laune. Die gute Hoffnung. Sportlich läuft es aber nicht rund bei den Reds. Die Bilanz von Klopp ist aktuell sogar schlechter als unter dem biederen Vorgänger Brendan Rodgers. Die Fieberkurve der Fans gleicht der Amplitude des Dax in den vergangenen Jahren. Höhenflug, Absturz. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.

„Klopps Flitterwochen sind vorbei“

Die Reds spielen leidenschaftlicher, intensiver, oft besser, aber nicht konstant. Starstürmer Daniel Sturridge ist mehr oder weniger dauernd verletzt, Robert Firmino tut sich schwer, die Innenverteidiger patzen regelmäßig, die Torhüterposition ist eine Baustelle und so weiter. „Klopps Flitterwochen sind vorbei, und er kehrt zurück in ein renovierungsbedürftiges Haus“, schrieb am Montag das „Liverpool Echo“.

Es gab Sternstunden wie die Siege beim FC Chelsea (3:1) und bei Manchester City (4:1) sowie das furiose 6:1 im Ligapokal beim FC Southampton, nach denen der Hype um Klopp keine Grenzen kannte. Aber eben auch Tiefschläge wie jetzt in Watford und wenig ansehnliche Auftritte in der Europa League oder in Heimspielen gegen kleinere Teams. Die Fans realisieren langsam, dass auch ein Jürgen Klopp kein Magier ist, sondern alles etwas länger dauern könnte und dass es keine Garantie gibt, dass es überhaupt klappt und Klopp Liverpool wieder zu alter Größe führt.

Jürgen Klopp hat aber auf jeden Fall schon bleibenden Eindruck hinterlassen, garniert von einem sprachlichen Vermächtnis: Der gebürtige Stuttgarter hat den britischen Fußball-Wortschatz bereits um eine deutsche Vokabel erweitert: „Gegenpressing“, lautet sie. Das Dogma seines Spiels ist allgegenwärtig – wie Klopp. Die Fallhöhe ist entsprechend hoch. Hier und da kommt aber schon jetzt ein anderes deutsches Wort zum Zuge, das es in seiner deutschen Originalversion ins Englische geschafft hat, weil es ebenfalls kein entsprechendes Pendant gibt: Schadenfreude.

Am Samstag (16 Uhr) kommt Leicester City an die Anfield Road, der Tabellenführer, die aktuell wohl schönste Cinderella-Geschichte im Fußball. Für Klopp und sein Team ist dies am „Boxing Day“ die große Chance auf einen großen Sieg.