Das Drama Woyzeck, einen Rilke-Text oder den Kommentar zu Journalismus – was haben die Schüler des Wirtemberg-Gymnasiums in Stuttgart gewählt? Und wie lief es?

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Donnerstag, 13.45 Uhr am Wirtemberg-Gymnasium in Stuttgart-Untertürkheim. In der Aula, an vollbesetzen Tischen, essen die Unter- und Mittelstufe noch Pizza und sehen auf der Leinwand ein Volleyball-Spiel (Deutschland gegen Türkei). Oben, im 3. Stock, schreiben 44 Schülerinnen und Schüler hinter einem schwarz-gelben Absperrband die letzte halbe Stunde ihres fünfstündigen Deutsch-Abiturs.

 

Aber Kira Haase kommt schon die Treppe herunter. Sie hat früher abgegeben. Kein Wunder, das Thema, das sie gewählt hat, lag ihr: eine literarische Erörterung zum Drama Woyzeck. „Wir haben das im Unterricht sehr umfangreich behandelt. Wenn man den Text mal verstanden hat, ist er gar nicht mehr so schwer“, sagt die 18-Jährige.

Hat sich über die Aufgabe zu Woyzeck gefreut: Kira Haase. Foto: Zophia Ewska/Zophia Ewska

Neben der Literatur-Aufgabe standen in diesem Jahr drei weitere zur Auswahl: Interpretation eines Kurzprosatextes von Rainer Maria Rilke, Analyse eines so genannten pragmatischen Textes aus der Süddeutschen Zeitung und das Schreiben eines Kommentars auf Grundlage von bereitgestelltem Material.

Dass sie Woyzeck nehmen würde, wenn er zur Auswahl steht, war Kira Haase schon vorher klar. Sie mag das Theaterfragment von Georg Büchner. Deshalb kam sie mit Aufgabe und Zeit gut zurecht. „Ich habe das Beste rausgeholt und mach mir erst mal keine zu großen Gedanken über die Note“, sagt Kira Haase. Sie kann jetzt durchatmen, sie ist mit dem schriftlichen Abitur schon durch. Auch die Abiprüfungen in Bio und Sport-Theorie liegen bereits hinter ihr.

Bei Deutsch komme es auf den Korrektor an, sagt Ayyub Baroudi. Foto: Lichtgut/Zophia Ewska

So geht es auch ihrem Mitschüler Ayyub Baroudi (18). Auch er hat das Schriftliche nun hinter sich, auch er hat Woyzeck gewählt. Darauf hatte er sich ebenso vorbereitet wie auf Juli Zehs Roman „Corpus Delicti“, der ebenfalls hätte vorkommen können. Wie es lief, kann Ayyub Baroudi gar nicht so richtig einschätzen. „Bei Deutsch weiß man nie. Das kommt auch sehr auf die Korrektoren an“, ist er überzeugt. Vorher habe er sich schon einen großen Kopf gemacht, aber in der Prüfung sei er „im Flow“ gewesen. „Eigentlich ist das wie jede Klausur, nur länger“, sagt Ayyub Baroudi.

„Länger“, das ist auch ein Wort, mit dem Erik Groysman die Prüfung beschreibt. Allerdings geht es bei ihm um die Länge des Textes. Er hat sich für Rilke entschieden, weil er sich beim Lernen auf diese Textform konzentriert habe. In der Prüfung stellte er aber fest, dass dieser Kurzprosatext ziemlich lang war. „Meine Übungstexte waren kürzer und schlichter“, sagt der 18-Jährige. Trotzdem ist er mit dem, was er geschrieben hat (12,5 Seiten) zufrieden. „Oberflächlich ging es in dem Text um Liebe, aber dahinter liegt eine Gesellschaftskritik“, hat er herausgearbeitet. Für ihn geht es von der Deutschprüfung direkt wieder an den Schreibtisch. Am Freitag steht seine Prüfung in Physik an.

War überrascht, wie lang der Kurzprosatext war: Erik Groysman. Foto: Lichtgut/Zophia Ewska

So geht es auch dem 17-jährigen Joshua. Der hatte sich in Deutsch für den pragmatischen Sachtext entschieden. Die Aufgabe war, diesen zu analysieren und eine eigene Position zu entwickeln. Das Thema: Die kommunikationswissenschaftliche Framing-Theorie, die davon ausgeht, dass Medien Themen oft in ein Deutungsmuster einbetten. Da seien die fünf Stunden schnell vorbei gewesen, sagt Joshua.

Bis zur letzten Minute an seinem Kommentar geschrieben hat Sanel Suljanovic (18). Zehn weitere Minuten hätten ihm noch gut getan, meint er. „Inwieweit sollten Journalisten objektiv sein?“ Das war die Ausgangsfrage, die zu bearbeiten war. Sanel Suljanovics Fazit: „Zur journalistischen Arbeit gehört beides, Objektivität und Subjektivität, aber letztere sollte gekennzeichnet sein.“ Ähnlich hat es auch Melina Lomuscio (18) beantwortet, die findet, zu wichtigen Themen müssten Journalisten eine klare Haltung zeigen. Sie ist jetzt froh, das Deutsch-Abi hinter sich zu haben.

Erleichterung ist bei allen Abiturienten zu spüren, auch wenn bei dem ein oder anderen noch eine Prüfung ansteht. Die 17-jährige Nele beispielsweise schreibt kommende Woche noch Englisch. Von ihrer Sportprüfung vergangene Woche war sie fast ein bisschen enttäuscht. Nicht, weil sie ihr zu schwer, sondern zu leicht erschien. „Ich habe so viel gelernt und dann waren die Fragen sehr einfach, fast oberflächlich“, meint sie.

Melina Lomuscio und Sanel Suljanovic haben sich für den Kommentar entschieden. /Lichtgut/Zophia Ewska

Nele will nach dem Abitur in einem Freiwilligenprojekt in Tansania arbeiten. Auch die anderen haben Pläne. Joshua beginnt eine Ausbildung zum Schreiner, Erik Groysman macht ein duales Studium in Public Management, Kira Haase will ein Jahr arbeiten und Handball spielen, Ayyub Baroudi studieren, Melina Lomuscio reisen und arbeiten und Sanel Suljanovic schwankt zwischen Studium und Ausbildung.

Jetzt allerdings wollen erst mal alle nur eines: „ausruhen, runterkommen“. Und ein bisschen feiern schon auch.