Für den ARD-Film „Die Flut – Tod am Deich“ hat Robert Habeck mit seiner Frau Andrea Paluch die Vorlage geliefert – frei nach Theodor Storms „Schimmelreiter“. Ein Umweltschutz-Krimi ist das Programmhighlight am Samstagabend aber keineswegs.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Robert Habeck, grüner Wirtschafts- und Klimaschutzminister, und seine Frau Andrea Paluch haben, wie man weiß, zusammen mehrere Bücher für Erwachsene und Kinder verfasst. „Hauke Haiens Tod“ war ihr Debütroman. 2001 erschienen, überträgt er Theodor Storms „Schimmelreiter“-Novelle von 1888 frei in die Gegenwart.

 

Das Autorenduo stellt Storms Nebenfiguren ins Zentrum eines tragischen Geschehens, das in einer Nordsee-Sturmnacht kulminiert. Mit gewaltig heranbrechenden Wellen und peitschendem Regen setzt auch der ARD-Film „Die Flut – Tod am Deich“ ein, der Habecks und Paluchs Roman in ein TV-Drama überführt.

Eine Jahrhundertflut erreicht 2007 das Nordseedorf Stegebüll und bringt dem Deichgrafen Hauke Haien, seiner Frau Elke und vermeintlich auch der kleinen Tochter Wienke den Tod. Was niemand im Ort weiß: Iven, Azubi auf dem Haien-Hof und eine Art Ziehsohn, kann unbemerkt mit Wienke fliehen. 15 Jahre später will die 18-Jährige, die in einem Kinderheim in Hamburg aufwuchs, wissen, was damals geschehen ist.

Iven (Anton Spieker, li.) trifft auf dem alten Hof der Haiens seine ehemalige Jugendliebe Ann-Grethe (Janina Stopper, re.) Foto: ARD Degeto/Nordfilm/Christine Schroeder

Mystery, Thriller, Coming of Age

Durch Zufall kann sie Iven, der im Rotlichtmilieu in Hamburg arbeitet, ausfindig machen und ihn überreden, sie nach Stegebüll zu bringen. Dort hat sich der ehemalige Bürgermeister Ole Peters (Sascha Geršak), damals Haiens Widersacher, in dessen Hof eingenistet und lässt ihn verlottern. Peters’ Tochter Ann-Grethe (Janina Stopper), Ivens Jugendliebe, ist Tierärztin und reitet auch den Schimmel, der Hauke Haien gehörte. Vater und Tochter, die ein seltsam unterkühltes Verhältnis pflegen wie auch der Rest der Einheimischen, begegnen Iven und Wienke mit Schweigen und Ablehnung.

Der Emmy-preisgekrönte österreichische Regisseur Andreas Prochaska („Das Wunder von Kärnten“; „Das Netz – Prometheus“) und das Autorenduo Daniela Baumgärtl und Constantin Lieb verstehen es, mit ihrem effektvoll ins Bild gesetzten Mix aus Mystery, Thriller und Coming of Age rund 100 Fernsehminuten weitgehend ohne Spannungsverlust zu füllen, wobei das zuletzt genannt Genre dominiert.

Detlev Buck als Hauke Haien mit seiner Tochter Wienke (Hanna Frieda Weiss) Foto: ARD Degeto/Nordfilm/Christine Schroeder

Wienke tritt einem in der Filmadaption als so eigenwillige wie klarsichtige, von einer Autismus-Spektrum-Störung beeinträchtigte junge Frau gegenüber, die unnachgiebig ihrer Herkunft auf den Grund gehen, ihre Verlorenheit überwinden will. Die österreichische Theaterschauspielerin Philine Schmölzer gewinnt die Zuschauer auf Anhieb durch ihr eindringliches, von Blicken getragenes Spiel. Übers Ziel hinaus schießen die Filmemacher, indem sie Iven als hypernervösen, daueraggressiven Gegenpart zeichnen – der Grund für seine Disposition erklärt sich erst sehr spät. Wobei es Anton Spieker hervorragend gelingt, das Gutherzige in seiner Figur trotz all seiner Schreierei durchscheinen zu lassen. Detlev Buck als Hauke Haien und Franziska Weisz als Elke veredeln mit ihren Namen die Besetzungsliste, ihre Parts stehen aber im Hintergrund.

Mit von der Partie: Detlev Buck und Franziska Weisz

Nach und nach erhält Wienke Antworten auf ihre Fragen, setzt sich das Bild der Ereignisse von damals zusammen. Regie und Buch binden hierfür geschickt Rückblenden ein. An Storms Duell Aberglauben versus Rationalität im Namen des Fortschritts knüpft der Plot nur oberflächlich und abgewandelt an. Bucks Haien ist ein visionärer, aber verbohrter Ingenieur, der mit einer neuen Pumpentechnologie dem Klimawandel trotzen will und dafür von den Dorfbewohnern einen Bruchteil ihres Landbesitzes verlangt. Egoismus, der zum Untergang führt, oder Gemeinschaft, die in die Zukunft trägt – so könnte vielmehr der Gegensatz lauten, doch dieser wird von Motiven wie Ehebruch, unerfüllte Liebe und Besitzstreitigkeiten überlagert – ein Klima-Krimi ist „Die Flut – Tod am Deich“ jedenfalls keineswegs.

Das Samstagabendpublikum kommt allemal auf seine Kosten: Dem Kameramann Felix Novo de Oliveira gelingen kinoreife Küsten-Stills; die Dialoge sind oft lakonisch, aber nicht aufgesetzt, und das originelle Antiheldenpaar Wienke und Iven bleibt lang im Gedächtnis.

Die Flut – Tod am Deich: Samstag, 20.15 Uhr, ARD