Landtag und Oper haben gemeinsam 75 Jahre Grundgesetz gefeiert und die Bedeutung der Demokratie hervorgehoben. Altbundespräsident Joachim Gauck warb für mehr Stolz auf die deutsche Verfassung. Doch es gab auch eine Attacke am Rand der Feier auf einen Stand der AfD.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Großer Andrang beim Gratis-Lunchkonzert der Staatsoper am Mittwoch im Opernhaus: Mehr als 200 Besucher strömten zur Mittagszeit in den Littmannbau, um einem besonderen Konzert zu lauschen – einem „Geburtstagskonzert für das Grundgesetz“, wie Landtagspräsidentin Muhterem Aras die kleine Mittagsmusik nannte. Vier Cellisten des Staatsorchesters spielten zur Feier des Verfassungstages Stücke von Rossini, Verdi, Klemm und Guillaume-Artus. Als Zugabe gab‘s „We are the Champions“ von Queen. Nur keine falsche Bescheidenheit. Passt!

 

Aras: „Jeder nimmt mindestens zehn Leute mit zum Wählen“

Am 8. Mai vor 75 Jahren hatte der Parlamentarische Rat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet, 15 Tage später, am 23. Mai 1945, trat es in Kraft. Es ist damit die bisher langlebigste deutsche Verfassung. Aras warnte dennoch davor, das Grundgesetz als selbstverständlich anzusehen. „Es ist gefährdet wie noch nie“, sagte sie: „Immer lauter und gewaltvoller werden die Feinde der Demokratie.“ Die Demokraten müssten umso lauter und zahlreicher dagegen stehen. „Unser Chor muss stärker sein, als das Gebrüll der Hassenden und die Pauken der Demagogen.“ Aras rief dazu auf, am 9. Juni , dem Tag der Europa- und Kommunalwahl, „massenhaft“ wählen zu gehen: „Zelebrieren sie diese Wahlen. Nehmen Sie mindestens zehn Leute mit und machen Sie ein Event daraus.“ Eine hohe Wahlbeteiligung sei das beste Mittel, „um den Demokratiefeinden die rote Karte zu zeigen“.

Ein Statement für die Demokratie: Generalmusikdirektor Cornelius Meister, Landtagspräsidentin Muhterem Aras und Opernintendant Viktor Schoner. (von links). Foto: Jan Sellner

Gleichzeitig lobte die Landtagspräsidentin „die demokratische Nachbarschaft“ mit der Oper. Dieser internationale Ort der Vielfalt und Freiheit sei ideal, um das Grundgesetz zu würdigen: „Landtag und Oper feiern gemeinsam ein Fest zur Festigung der Demokratie.“ Neben zahlreichen Landtagsabgeordneten hatten auch zwei der fünf Fraktionsvorsitzenden – Andreas Schwarz (Grüne) und Andreas Stoch (SPD) – den Weg vom benachbarten Landtag in die Oper gefunden.

Intendant Viktor Schoner lobte seinerseits „die gelebte Nachbarschaft mit dem Landtag“. Die bevorstehende Premiere des Brecht-Stückes „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von 1930 nahm er zum Anlass, auf die Bedeutung der Kunst in schwierigen Zeiten hinzuweisen. Sie könne Hoffnung geben und Perspektivwechsel ermöglichen. Trotz vielfältiger Bedrohungen in der heutigen Zeit setzt Schoner auf „die Resilienz der menschlichen Intelligenz“. Er kündigte an, dass die deutschen Theater mit einer eigenen Aktion für die Wahlen am 9. Juni werben werden. Das Motto: „Wir haben die Wahl.“

Leidenschaftliches Plädoyer für die Demokratie: Alt-Bundespräsident Joachim Gauck beim Festakt im Landtag. Foto: Jan Sellner

Anschließend informierten der Landtag und die Fraktionen auf dem Opernvorplatz über ihre Arbeit. Trotz mitreißender Musik – gespielt von Mitgliedern des Staatsorchesters, die sich chamäleonartig in Bluesmusiker verwandelten – hielt sich der Besucherandrang in Grenzen.

Attacke auf Stand der AfD

Nachmittags kam es allerdings zu einem Zwischenfall. Gegen 16 Uhr wurde der Informationsstand der AfD-Landtagsfraktion attackiert. Nach Angaben der Polizei hielt eine mehrköpfige Personengruppe ein Transparent direkt vor dem Stand hoch und versuchte diesen zu blockieren. Dabei wurden Mitglieder der AfD-Landtagsfraktion erst verbal und dann körperlich angegriffen. Zwei wurden dabei leicht verletzt. Eine ärztliche Versorgung war nach Angaben der Polizei jedoch nicht erforderlich. Die Tatverdächtigen flüchteten anschließend zu Fuß in Richtung Landtag. Zwei Frauen im Alter von 19 und 23 Jahren konnte die Polizei festnehmen. Inwieweit sie an der Tat beteiligt waren, ist Gegenstand der Ermittlungen.

Gauck: Stolz stabilisiert die Demokratie

Am Abend folgte ein offizieller Festakt mit dem früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck im Landtag mit mehreren Hundert geladenen Gästen, darunter mehreren Schulklassen. Im Gespräch mit der Unternehmerin Tijem Onaran und dem Autor Ronen Steinke plädierte Gauck leidenschaftlich für ein angstfreies und selbstbewusstes Eintreten für die Demokratie. Das Grundgesetz, das durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik 1990 eine „zweite Legitimierung“ erhalten habe, sei ein „Raum der Möglichkeiten“, den es zu nutzen und zu verteidigen gelte.

Gauck nannte sich einen „Verfassungspatrioten“. Angesichts der unermesslichen Schuld, die Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus auf sich geladen habe, sei ihm das Gefühl von Stolz lange zuwider gewesen. Heute könne er sagen, er sei stolz auf ein Deutschland, das ausgehend vom Grundgesetz, „so geworden ist, wie es geworden ist. Wenn wir uns diesen Stolz nicht erlauben, geben wir ein stabilisierendes Element ab an diejenigen, die die Demokratie verachten.“