Der Fanschal ist immer dabei – das Spiel der Ungarn in Stuttgart bei der Europameisterschaft unterstützt Viktor Orbán vor Ort. Fast schon obsessiv soll seine Liebe zum Fußball sein. Dabei verfolgt der Regierungschef aber auch einen politischen Plan.

Volontäre: Maximilian Kroh (kro)

Knapp 40 Autominuten westlich der ungarischen Hauptstadt Budapest liegt die Fancho Aréna im Dorf Felcsút. Dem Begriff Fußballtempel kommt wohl kaum ein Stadion so nahe wie dieses. Statt trister Stahlträger stützt ein hölzernes Fächergewölbe das Arenadach. 4000 Zuschauern bietet die prachtvolle Heimstätte des Puskás Akadémia FC Platz. Würden alle Bewohner von Felcsút kommen, wäre sie immer noch nur halb gefüllt. Dass so eine Spielstätte in einem ungarischen 1900-Seelen-Dorf steht und dass dieses Dorf einen Fußballerstligisten stellt, hat einen Grund: Viktor Orbán.

 

Der ungarische Regierungschef wuchs in Felcsút auf. Noch heute residiert er immer wieder in seinem Ferienhaus dort – in unmittelbarer Nähe zum Stadion, versteht sich. Denn Orbán ist kein gewöhnlicher Fußballfan. Seine Liebe zum Sport ist geradezu obsessiv. Bis zu sechs Spiele pro Tag soll er anschauen, hieß es einmal in der englischen Tageszeitung „The Guardian“, keine Weltmeisterschaft und kein Champions-League-Finale verpassen. In den Logen der Stadien der Welt sieht man ihn posieren, Fanschal um den Hals.

Architektonisch beeindruckend: die Fancho Aréna in Felcsút Foto: imago

Beim Puskás Akadémia FC, benannt nach dem ungarischen Volkshelden Ferenc Puskás, ist Orbán gar Präsident.

Kein Wunder also, dass der ungarische Fußball seit der Rückkehr des Autokraten im Jahr 2010 an die Staatsspitze Ungarns eine Sonderrolle genießt. Hunderte Millionen Euro an Staatsgeldern sind seitdem in den Ausbau der Stadien und der Nachwuchszentren geflossen. Quasi jeder, der im Vorstand des Verbandes oder der Vereine etwas zu sagen hat, kommt aus dem Umfeld Orbáns.

Es ist ein Investment, das sich sportlich auszahlt. Die ungarische Nationalmannschaft schaffte es zwischenzeitlich immerhin bis auf Rang 18 der Weltrangliste. 2012 qualifizierte man sich zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder für eine Europameisterschaft. Auch die Puskás Akadémia, Orbáns Herzens- und Heimatdorfverein, nahm 2020 erstmals an der Qualifikation zur Europa League teil – scheiterte dann aber in der ersten Runde.

Und doch brachte der ungarische Fußball zum ersten Mal seit seinen goldenen 1950er Jahren wieder einige Weltklassespieler hervor. Dominik Szoboszlai vom FC Liverpool etwa, der auch Kapitän der Nationalmannschaft ist.

Auch nach Serbien, Rumänien oder in die Slowakei fließen Regierungsgelder

Es dürfte aber nicht nur um Sport gehen. Mit der Geldspritze für den Volkssport Fußball das eigene politische Image ein wenig aufzupolieren ist keine ungarische Erfindung. Das zeigt der Blick nach Katar oder Saudi-Arabien.

Doch Viktor Orbán geht einen Schritt weiter. Denn auch in Fußballvereine der ungarischen Nachbarn Serbien, Rumänien oder Slowakei fließt Regierungsgeld. Zufall ist das nicht. In all diesen Ländern leben ungarische Minderheiten.

Beim slowakischen DAC Dunajská Streda etwa stehen die Fans mit Ungarn-Flaggen im Block und singen ungarische Fangesänge und Nationalhymne. Orbán, der seit Jahren im Clinch mit den Slowaken um Privilegien der ungarischen Minderheit liegt, dürften solche patriotischen Anwandlungen gefallen. Die slowakische Regierung dagegen verbot das Singen ausländischer Nationalhymnen in den Stadien kurzerhand.

In den Ligen sind die ethnisch-ungarischen Vereine unbeliebt

In ihren Ligen machen die Finanzspritzen aus Ungarn die Clubs unbeliebt. Sportlichen Erfolg haben sie trotzdem. In der abgelaufenen Saison schafften es alle ethnisch-ungarischen Vereine in die Qualifikationsrunden der drei internationalen Vereinswettbewerbe.

Und Viktor Orbán? Der macht weiter. Gleicht Vereinsschulden mit Steuergeldern aus, modernisiert Trainingszentren, stärkt die Jugendarbeit. Oder er geht ins Stadion. Und kommt so an diesem Mittwoch auch in den Genuss der Europameisterschaft in Stuttgart.