Bei der WM 2010 war er der neue Stern am Fußballhimmel: Paul, die Krake, und sein untrüglicher Fußballsachverstand. Seither laufen sich vor jedem großen Turnier die Orakeltiere warm. Und diesmal?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Wer wird Europameister? Die Wahrheit liegt auf dem Platz, lautet eine Fußballweisheit. Bei der WM 2010 lag sie fraglos auf dem Grund eines Großaquariums in Oberhausen. Mit nachtwandelnder Sicherheit machte dort Krake Paul seine Vorhersagen. Alle sieben Deutschland-Spiele – darunter zwei Niederlagen – wie auch das Endspiel tippte der Kopffüßer richtig und löste einen weltweiten Medienhype aus.

 

Anfangs belächelt, entwickelten sich Pauls Vorhersagen von Spiel zu Spiel zu einer immer größeren Hypothek für diejenige Mannschaft, deren Farben das farbenblinde Tier verschmähte. Selbst die sonst nicht zimperliche britische Boulevardpresse attestierte Paul „hellseherische“ Fähigkeiten. 1:4 verloren die Three Lions gegen Deutschland und schieden aus. Paul kannte sich offenbar aus mit der Pille. Als er auch einen deutschen Sieg gegen Argentinien weissagte, veröffentlichten südamerikanische Fernsehsender Kochrezepte für die Krake. Es folgte die Strafe in Form eines 4:0 für Deutschland.

Wird Paul aus Rache aufgegessen?

Allerdings hatten auch die Spanier nach ihrem von Paul prophezeiten Halbfinalsieg (1:0) die Sorge, die Deutschen würden ihn jetzt einfach aufessen. Selbst der damalige Ministerpräsident José Zapatero sagte, er mache sich Sorgen. Das war unbegründet. Paul durfte auch den spanischen Finalsieg gegen die Niederlande richtig tippen. Auf der iberischen Halbinsel avancierte die Krake dadurch endgültig zum Megastar. Ein Bürgermeister aus dem äußersten Nordwesten Spaniens initiierte gar eine Sammlung. Für eine Ablösesumme von 30 000 Euro wollte er Paul als Attraktion zum örtlichen Tintenfischfestival zu holen.

Daraus wurde nichts. Während Paul schon wenige Monate nach dem Turnier an Altersschwäche starb, entwickelte sich in der Folge geradezu eine Inflation der Orakeltiere. Schweine, Schildkröten und sogar einem Kugelgürteltier versuchte man bei den darauffolgenden Welt- und Europameisterschaften Hinweise auf Spielausgänge abzutrotzen. Prominenteste Tippgeberin war Kuh Yvonne, die zuvor wochenlang bei Deggenhausen in Bayern die Polizei mit ihren Ausbrüchen genarrt hatte. Wie sich zeigte, fiel es ihr leichter, die Beamten auszudribbeln als den richtig beflaggten Futtertrog auszuwählen. Auch hier erwies sie sich als renitent. Die Kuh fraß grundsätzlich zuerst aus dem Eimer der Verlierer.

Der Elefant tippt auf ein afrikanisches Team

2016 stieg auch die Stuttgarter Wilhelma ins Tierorakelgeschäft ein. Elefantenkuh Zella sollte aus einem Korb mit Bällen, die mit den Nationalflaggen bemalt waren, die jeweiligen Sieger ziehen. Der Elefant hatte seinen Spaß, der Erfolg der Voraussagen war aber eher mäßig. Auch 2018 dürfte sich der Dickhäuter weniger von Fußballsachverstand als von innerer Verbundenheit geleitet haben dürfen, als er Senegal, wo noch Elefanten leben, zum voraussichtlichen Sieger der WM kürte.

Infolge mangelnder Treffsicherheit der Orakeltiere, aber wohl auch der der deutschen Kicker, ist der Hype seither abgeflaut. Es werde zur EM in Deutschland keinen tierischen Tipp geben, sagt der Sprecher der Wilhelma, Birger Meierjohann. Das hat auch mit einem grundsätzlichen Strategiewechsel zu tun. „Wir wollen ein anderes Bild vom Wildtier vermitteln und die Tiere nicht vermenschlichen.“ Geschadet hätten die Tippspiele den Tieren zwar nicht, „aber es geht auch um Respekt“.

Die Wilhelma denkt um

Tatsächlich sei den Tieren die Fußball-EM nämlich herzlich egal – anders als übrigens Zoodirektor Thomas Kölpin. Der gilt als großer Fußball-Fan. Als Orakel, das ist klar, ist er damit natürlich untauglich. Dafür muss man ahnungslos sein wie ein Tintenfisch, der acht Arme, aber keine Füße hat.