Die EM-Euphorie ist ausgebrochen. Ein Saxofonspieler liefert den Soundtrack dazu. Wer ist der Mann im Völler-Trikot, der die Massen auf der Stuttgarter Königstraße begeistert?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Die Fans drängen beglückt aus der Fanzone. Und plötzlich wird aus einem erfolgreichen Fußballspiel eine richtige Party. Satter Saxofon-Sound klingt über die Königstraße, und die Massen fangen an zu tanzen und zu singen: „Zeit, dass sich was dreht.“

 

Der Mann, der hier auf einer Verstärkerbox steht und den Einpeitscher gibt, trägt Sonnenbrille und Rudi-Völler-Trikot mit der Nummer 9, hinters Ohr hat er lässig eine Zigarette geklemmt. Sein eigentliches Markenzeichen ist aber ein schwarzes Tenorsaxofon. Mit dem spielt er, was das Zeug hält. Und alle um ihn herum singen mit.

Das Saxofon soll cool werden

„Der war schon in München“, sagt einer, der ihn aus dem Internet kennt. Beim Eröffnungsspiel heizte der Musiker den Fans schon an der dortigen Fanzone ein. Da haben auch die Schotten kräftig mitgetanzt. Die Videos auf Tiktok und Instagram gingen viral. In Stuttgart spielt er mittags beim Fanmarsch und später vor dem Stadion. Und jetzt am Abend vor der Freitreppe zum Kleinen Schlossplatz. Johannes und seine Freunde sind ihm extra aus Überlingen nachgereist. „Der macht Party, das ist echt geisteskrank“, sagt der 20-Jährige: „Allee, Allee, ja das ist eine Allee!“

Es sei sein Ziel, das Saxofon wieder cool zu machen, sagt Andre Schnura, als er nach seinem einstündigen Auftritt endlich ein wenig Atem holen kann. Deshalb das schwarze Saxofon. Das hat er zusammen mit einem Freund selbst erfunden und vertreibt es über seine eigene Firma. Das stylische Instrument ist mit einer speziellen Pulverbeschichtung versehen, „sonst schwingt das Messing nicht.“

Partymusik ist wie eine Droge

Der 30-Jährige kommt aus Haan-Gruiten bei Wuppertal, hat in den Niederlanden Musik studiert. Eigentlich sind Jazzsessions sein Metier. Er spielt Charlie Parker oder John Coltrain, nur eine solche Intensität und Begeisterung wie bei den Fußballhits auf der Fanmeile spüre er selten. „Das ist wie eine Droge“, sagt er. Seine Zuhörer fühlen das auch. „Völlig losgelöst!“

Nun tingelt Schnura von Spielort zu Spielort und sammelt jedes Mal mehr Fans um sich. In München war es schon super, in Stuttgart wohl mehr als das. „Ich habe keine drei Sekunden gespielt, da fingen schon die ersten an zu tanzen“, sagt Schnura. Mancher steckt ihm sogar einen Geldschein unter die Klappen, damit er nur ja weiter spielt.

Die Auftritte wirken spontan, sind es aber nicht immer

„Ok, Stuttgart. Das war grad das krasseste, was ich in meinem Leben erlebt habe. Einfach nur Liebe“, schreibt er am späten Abend auf Instagram, wo er Videos von seinen Auftritten postet. „Samba de janeiro.“

Am Sonntag ist dann Frankfurt das nächstes Ziel, wo die deutsche Mannschaft ihr letztes Vorrundenspiel bestreitet. „Bis dahin bin ich gebucht“, sagt Schnura. Denn ganz so ungeplant sind die Auftritte doch nicht. Der DFB-Fanclub hat ihn für drei Tage gebucht. So ist er zum Beispiel am Sonntag in Frankfurt offiziell von 14 bis 16 Uhr und um 17 Uhr auf dem Opernplatz gebucht. Was danach passiert, ist Privatsache. Der Fanclub betont, dass er nicht für die Guerilla-Aktion am Abend nach dem Spiel verantwortlich ist. Diese sei völlig spontan gewesen.

Kann er auch die Hymne?

Womöglich gehe es danach aber weiter. Lust darauf hätte er. Für manche steht ohnehin schon fest, dass Schnura in Berlin die Hymne spielen muss, wenn Deutschland ins Finale kommt. Joseph Haydn dürfte für ihn als studierten Musiker kein Problem sein. Vorerst hat er aber nur die heimliche Hymne der Fußballfans im Programm, wovon sich der DFB aber distanziert: Balkon Ultras „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“.