Im Film „Im Herzen jung“ verliebt sich ein Mann in eine deutlich ältere Frau. Ein feinfühliges Liebesdrama ohne Kitsch.

Zufällige Begegnungen können flüchtig sein und trotzdem bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine solche Begegnung haben Shauna (Fanny Ardant) und Pierre (Melvil Poupaud) in einem Krankenhaus in Lyon. Ein denkbar unromantischer Ort. Shauna steht einer Freundin bei, die im Sterben liegt. Am Kaffeeautomaten im tristen Flur trifft sie Pierre. Er ist der behandelnde Arzt ihrer Freundin und außerdem der beste Freund von deren Sohn Georges (Sharif Andoura). Die Verbindung zwischen den beiden ist gleich spürbar, auch wenn sie nur wenige Sätze wechseln und sich in derselben Nacht wieder aus den Augen verlieren.

 

Es vergehen 15 Jahre bis zum nächsten Treffen. Pierre begleitet seinen Freund Georges zum Ferienhaus seiner Mutter an der irischen Küste – und dort werden sie von Shauna in Empfang genommen, die von Zeit zu Zeit in das alte Haus ihrer verstorbenen Freundin fährt, um sich vom Trubel ihrer Heimatstadt Paris zu erholen. Die Anziehungskraft ist schnell wieder da. Doch in der Zwischenzeit ist einiges passiert. Pierre ist mit Jeanne (Cécile de France) verheiratet. Sie haben zwei Kinder, die 18-jährige Rosalie (Sarah Henochsberg) und den elf Jahre jüngeren Marcel (Martin Laurent). Und noch ein weiteres Detail steht der aufkeimenden Liebe im Weg: Pierre ist 45 Jahre alt, Shauna 70.

Ringen um Vernunft

Keine stürmische Affäre

Die Regisseurin Carine Tardieu hat mit ihrem neuen Werk „Im Herzen jung“ das Drehbuch der 2016 früh verstorbenen isländisch-französischen Regisseurin Sólveig Anspach verfilmt. Die Geschichte ist an die Lebensgeschichte von Anspachs Mutter angelehnt. Die Essenz sei gleich geblieben, sagte Tardieu in einem Interview. Einiges habe sie neu geschrieben oder weiterentwickelt.

Ihr ist dabei ein leiser, melancholischer Film gelungen, der ganz ohne Kitsch auskommt. In Tardieus Film stürzen sich zwei Liebende nicht in eine stürmische Affäre. Pierre ist kein Fremdgänger. Er führt ein harmonisches, quirliges Familienleben mit den üblichen Herausforderungen – Tochter Rosalie droht von der Schule geworfen zu werden – und mit größeren Tragödien, deren Bewältigung das Ehepaar nur noch enger zusammengebracht hat. Shauna ist frei und unabhängig. Mit ihren siebzig Jahren hat sie lange schon mit der Liebe abgeschlossen.

Das Umfeld reagiert ungläubig

Pierre scheint der Altersunterschied nichts auszumachen. Für ihn ist es eher der Vertrauensbruch zu seiner Familie, der ihn zögern lässt. Anders sieht es für Shauna aus, die ihm kurz vor dem ersten Rendezvous sagt: „Ich werde bald 71 Jahre alt.“ Pierre antwortet: „Lädst du mich zu deiner Geburtstagsfeier ein?“

Die Reaktionen der perfekt besetzten Nebenrollen zeigen, wie er aussieht, der Blick der Außenstehenden auf so eine Beziehung: das bittere Lachen der Ehefrau, als sie erfährt, wie alt die Affäre ihres Mannes ist. Die Ungläubigkeit von Shaunas Tochter Cécilia (Florence Loiret-Caille), die selbst noch auf die große Liebe wartet. Das Entsetzen Georges’, für den Shauna „wie eine Mutter“ ist. Würde sich ein Mann in eine jüngere Frau verlieben, wäre das kaum ein Schulterzucken wert. Die Dinge mögen sich geändert haben, ganz gesellschaftlich akzeptiert ist die umgekehrte Version noch nicht.

Den Fokus legt Tardieu allerdings auf die physischen Herausforderungen, die das Altern mit sich bringt. Shauna ist nicht mehr fit. Eine Krankheit schreitet voran. In einer Szene schafft sie es nicht mehr, ohne Hilfe aus der Badewanne zu steigen. Sie bittet Pierre, sein Leben nicht für eine Frau wegzuwerfen, die keine Zukunft hat.

Liebe, Krankheit und Tod

Fanny Ardant zählt zu den großen Stars des französischen Kinos. Im Laufe ihrer Karriere hat sie zahlreiche emotionale Frauenfiguren verkörpert. Auch in ihrer Rolle in „Im Herzen jung“ verleiht sie ihrer Figur eine große Glaubwürdigkeit. Sie zeigt genauso wie Melvil Poupaud fein nuanciert die Unsicherheit ihrer Figur. Überhaupt hat Tardieu mit der Zusammensetzung des Ensembles ein gutes Händchen bewiesen. Sie lässt allen von der Affäre Betroffenen genügend Raum. Georges etwa sorgt mit seiner liebenswert schrulligen Art für etwas Heiterkeit zwischendurch.

Der Film zeigt die Zerbrechlichkeit und Endlichkeit des Lebens. Er handelt auch von Krankheit und Tod. Wie viel Zeit wird den beiden bleiben, wenn sie sich füreinander entscheiden?

Im Herzen jung. Frankreich/Belgien 2023. Regie: Carine Tardieu. Mit Fanny Ardant, Melvil Poupaud, Cécile de France, Florence Loiret-Caille. 112 Minuten. Ab 12 Jahren

Ensemble

Die Hauptdarstellerin
Die französische Theater- und Filmschauspielerin Fanny Ardant ist 1949 geboren. Für ihre Rolle der Discowirtin in der Komödie „Manche mögen’s heiß“ gewann sie ihren ersten César als Beste Hauptdarstellerin. Ihren zweiten gewann sie mit „Die schönste Zeit unseres Lebens“ in der Kategorie Beste Nebendarstellerin. Im Laufe ihrer Karriere hat sie in mehr als sechzig Filmen mitgespielt. Zu den bekanntesten zählt „8 Frauen“ von Regisseur François Ozon.

Der Hauptdarsteller
Der Schauspieler Melvil Poupaud ist 1973 geboren. 1998 wurde Poupaud von der European Film Promotion zu einem der europäischen Shooting-Stars erklärt. Neben seiner Tätigkeit als Filmschauspieler („Tagebuch eines Verführers“, „An einem schönen Morgen“) hat er bei zahlreichen Kurzfilmen Regie geführt.