Ein in der Landeshauptstadt entwickeltes und dort etabliertes Präventionsprojekt soll auch in Kitas des Rems-Murr-Kreises die motorischen Fähigkeiten der Kinder verbessern. Was es mit dem Bewegungspass auf sich hat.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Um perfekt laufen zu können, benötigt der Mensch gemeinhin sechs Jahre – unter der Voraussetzung, dass er täglich ausreichend übt. „So viel, wie möglich“ Bewegung in sicherer Umgebung empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die ersten drei Lebensjahre. Mindestens 180 Minuten pro Tag für das Alter zwischen vier und sechs Jahren, danach mindestens 30 Minuten Sport, der über die Alltagsbewegung hinausgeht.

 

Die Realität hingegen sieht meist anders aus. Lediglich 60 Prozent der Kindergartenkinder kämen laut einer Studie gerade einmal auf eine Stunde Bewegung pro Tag, sagt Franziska Borst vom Amt für Sport und Bewegung, Bewegungsförderung und Sportentwicklung in Stuttgart. Der Rest liege zeitlich noch darunter.

Bewegungspass in Stuttgart entwickelt

In der Landeshauptstadt wirkt man dieser Entwicklung schon seit mehreren Jahren mit einem Präventionsprojekt gezielt entgegen. Ein sogenannter Bewegungspass soll in Kindertagesstätten die Lust an der Bewegung entfachen und auf spielerische Art und Weise die motorischen Fähigkeiten trainieren. Die Kinder üben unter Anleitung entsprechend geschulter Pädagogen regelmäßig Dinge wie Laufen, Springen, Balancieren, Klettern, Werfen oder Fangen und werden für erlernte Fähigkeiten mit Stickern belohnt. Der jeweilige Fortschritt wird in dem Bewegungspass dokumentiert, der dann am Ende der Kindergartenzeit in eine Urkunde mündet.

Rems-Murr-Kreis übernimmt Konzept etwas verspätet

Auch der Rems-Murr-Kreis hat dieses Konzept jetzt übernommen. Eigentlich war das schon vor fünf Jahren von der örtlichen Gesundheitskonferenz beschlossen worden. Doch dann kam Corona dazwischen.

Das Ziel ist nun, bis zum Jahr 2028 in mindestens der Hälfte aller insgesamt rund 400 Kitas und 20 Sportvereinen einen Bewegungspass eingeführt zu haben. Um entsprechend zertifiziert zu werden, müssen aus den einzelnen Einrichtungen Fachkräfte in eintägigen Fortbildungen auf das Projekt vorbereitet werden. Am Ende des Lehrgangs erhalten sie dann alle notwendigen Materialien, um die erlernten Spiele und Übungen selbstständig durchführen zu können.

Raum Backnang macht den Vorreiter

Den Anfang haben Anfang April bereits Akteure aus dem Raum Backnang gemacht. Knapp 30 pädagogische Fachkräfte aus 19 Kitas der Großen Kreisstadt sowie umliegender Kommunen haben einen Bewegungspass-Kurs absolviert.

So wie die städtische Kita am Heininger Weg in Backnang, wo das Projekt dieser Tage vorgestellt worden ist, und Baybars, Max, Isabella, Alisa und Cosima – vier bis sechs Jahre alt – stolz vorführten, was sie in Sachen Känguru-Sprung gelernt haben. Der Backnanger Oberbürgermeister Maximilian Friedrich, der sich neben dem Landrat Richard Sigel und Projektbeteiligten persönlich ein Bild machte, betonte die Wichtigkeit einer frühzeitigen Weichenstellung gemäß dem Motto: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Wer als Kind keinen Spaß an körperlicher Aktivität entwickle, habe in der Regel auf im Erwachsenenalter wenig Freude daran.

Viele Kinder wegen Übergewicht in Behandlung

Dass schon ein frühzeitiger Bedarf besteht, darauf deutet auch eine Zahl hin, die Jörg Schmautz, stellvertretender Geschäftsführer der AOK Ludwigsburg-Rems-Murr, neben der Kreissparkassenstiftung der Hauptsponsor des Projekts, offenbart: Allein im Rems-Murr-Kreis seien aktuell rund 600 Kinder wegen krankhaften Übergewichts in Behandlung, mehr als 100 seien unter vier Jahre alt. Die Zahl beziehe sich lediglich auf die bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Versicherten, und die Dunkelziffer werde noch ungleich höher eingeschätzt.

Gleichwohl betont Franziska Borst, die sich nicht nur bei der Landeshauptstadt für das Gelingen des Projekts engagiert, sondern dessen Ausbreitung auch in einer eigens eingerichteten Transferstelle in anderen Stadt- und Landkreisen unterstützt, dass der Bewegungspass nicht etwa als eine Art Leistungskontrolle zu verstehen sei. Das Konzept setze vielmehr an den individuellen Fähigkeiten an und solle der ohnehin in Kindern vorhandenen Bewegungsfreude Raum geben. Dass sie alle zehn Wochen in 32 Basisfertigkeiten zeigen, was sie können und am Ende mit einem Drachenaufkleber belohnt werden, hat einen ganz anderen Grund: „Kinder sind Jäger und Sammler.“