Viktor Orbán wird am Mittwoch anlässlich des EM-Spiels zwischen Deutschland und Ungarn in Stuttgart im Neuen Schloss empfangen. Wie Land und Stadt den ungarischen Ministerpräsidenten, den Störenfried der EU, vor der Partie begrüßt haben.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Der bullige, meist grimmig blickende Viktor Orbán ist normalerweise keiner, mit dem sich deutsche Politiker gern fotografieren lassen. In Brüssel, wo Ungarn im Juli den Ratsvorsitz übernimmt, gilt der Rechtspopulist als Störenfried und Blockierer, macht sich in Europa mit seiner Nähe zu Putin keine Freunde – und doch bereiten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und OB Frank Nopper (CDU) am Mittwochnachmittag aus Anlass eines europäischen Turniers dem 61-Jährigen im Neuen Schloss einen freundschaftlich wirkenden Empfang. Die nicht ausgesprochene Devise scheint zu lauten: Politik ist heut’ tabu!

 

Nervosität liegt über der Stadt. Der rückwärtige Zugang zum Neuen Schloss ist weiträumig abgesperrt. Durch den Park kann niemand mehr gehen. Die Sonne strahlt, als die Wagenkolonne der ungarischen Delegation mit leichter Verspätung vorfährt. Ministerpräsident Viktor Orbán trägt eine pinkfarbene Krawatte, was er bestimmt nicht als politische Botschaft meinen dürfte. Pink ist unter anderem die Farbe von queeren Menschen – und in Ungarn gelten queerfeindliche Gesetze.

Empfang für Viktor Orbán im Neuen Schloss. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Regierungschef sieht freundlicher aus, als man ihn aus dem Fernsehen kennt. Er lächelt immer wieder, vor allem, wenn er mit der ganz in Blau gekleideten Gudrun Nopper, der Frau des Oberbürgermeisters, spricht.

Kretschmann rühmt die „Magie des Sports“

„Die Welt zu Gast bei Freunden“ – so lautete das Motto 2006 beim Sommermärchen, das Stuttgart wie die gesamte Republik nun bei der EM gern wiederholen würde. Denn Fußball vereint. Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht in seiner Rede von der „Magie des Sports“, die Trennendes zusammenführe. Und deshalb steht der Sport im Vordergrund, die gravierenden politischen Differenzen sollen ausgeblendet werden beim Empfang dreieinhalb Stunden vor dem Anpfiff in der Stuttgarter Arena, in der Deutschland gegen Ungarn antritt.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat für den Empfang am Nachmittag im Neuen Schloss abgesagt. Erst im Stadion wird er Viktor Orbán sehen – wie auch später in Berlin, wohin der ungarische Regierungschef reisen will, bevor er nach Stuttgart zum Spiel von Ungarn gegen Schottland zurückkehrt. Der ungarische Ministerpräsident ist ein großer Fußballfan, der die Uefa-Euro zur Chefsache gemacht hat und hohe Summen für den sportlichen Erfolg seiner Mannschaft investiert.

Es geht um die Vergangenheit – um 1954

Alle Redner greifen ein Thema auf: die Vergangenheit, also speziell das Jahr 1954. Vor genau 70 Jahren war Ungarn Favorit bei der WM in Schweiz, unterlag aber beim „Wunder von Bern“ den Deutschen. Dass sein Land damals verloren hat, ist für Viktor Orbán „eine bis heute nicht verheilte Wunde“. Sein größter Wunsch ist, dass er eines Tages ein WM-Finale von Deutschland gegen Ungarn erleben kann.

Gruppenbild mit Gudrun Nopper der OB-Gattin, vor dem Neuen Schloss. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

OB Frank Nopper dankt Ungarn für die Öffnung des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989. Und DFB-Präsident Bernd Neuendorf freut sich, dass er bei der EM und speziell in Stuttgart „,die ganze Wucht des Fußballs“ in seinem positiven Ausmaß erleben kann. Die vier Redner halten sich kurz, keiner redet über die Politik.

„Wir blenden nicht aus, wofür Orbán politisch steht“

Hinterher ist eine Organisatorin froh, dass der ungarische Gast „nichts Dummes“ gesagt habe, also alles gut verlaufen sei. SPD-Landeschef Andreas Stoch, ebenfalls Gast beim Empfang, sagt, es sei „legitim“, dass die Gastgeber keine Kritik an der Politik von Orbán geäußert hätten. „Denn hier geht es um Sport“, betont er. Doch dies bedeute nicht, „dass wir ausblenden, wofür der ungarische Ministerpräsident politisch steht“. Von Landtagspräsidentin Muhterem Aras heißt es, sie habe eine Sitzung verlängert, um nicht Orbán beim Empfang zu treffen.