Ein kurzer Blick in die Buchhandlung zeigt: Bücher über Beziehungsklischees und straighten Charakteren gibt es haufenweise. Wir haben euch deshalb unsere queeren Lesetipps zusammengesammelt. Viel Spaß beim Lesen und Abtauchen.

Volontäre: Sandra Belschner (sbr)

Was gibt’s Schöneres als einen Nachmittag im Park mit Frühlingssonne und einem guten Buch? Richtig, nicht viel! Doch von klischeehaften hetero Liebesgeschichten und Sexualität-Schubladen haben wir genug. Ihr auch? Hier sind deshalb unsere queeren Lesetipps. Von Romanen mit Herzschmerzgefahr, über Graphic Novels bis hin zu aufklärenden Sachbüchern ist alles dabei.

 

Paradiesische Zustände – Henri Maximilian Jakobs

Henri Maximilian Jakobs erzählt in „Paradiesische Zustände“ von einem Jungen, der sich in seinem eigenen Körper fremd fühlt: Von einer Berliner Clubtoilette, in der er sturzbetrunken versucht, seinen Namen in die Rinne zu pinkeln, blickt Johann zurück auf sein bisheriges Leben. Er erzählt von unzähligen Schichten Kleidung, unter denen er seinen Körper verschwinden lässt. Die Fassungslosigkeit und Ablehnung, mit denen er sich selbst und die Welt wahrnimmt, entspricht so ziemlich dem Unverständnis, mit dem ihm seine Mitmenschen begegnen. Die Zukunft, die vor ihm liegt, bedeutet erst einmal nichts anderes als die Herausforderung, diese irgendwie hinter sich zu bringen. Sein Weg führt Johann über eine Schauspielschule in der bayrischen Provinz und eine skurrile Hipster-Wurstbude in Berlin-Neukölln zu einer wichtigen Erkenntnis.

Paradiesische Zustände, Kiepenheuer&Witsch, 352 Seiten

Blutbuch – Kim de l’Horizon

Bereits vor zwei Jahren hat Kim de l’Horizon den Deutschen Buchpreis für seinen kunstvollen Roman „Blutbuch“ bekommen – und das zurecht. Zugegeben, „Blutbuch“ tut an vielen Stellen weh und man braucht Zeit für diese Geschichte, weil man immer wieder über das Gelesene nachdenken muss. Darum geht’s: Die Stimme in Blutbuch sieht sich weder als Mann noch als Frau. Seitdem es sie von einem kleinen Schweizer Vorort nach Zürich zog, fühlt sie sich im nonbinären Körper und der eigenen Sexualität wohl. Doch als die Großmutter dement wird und die Erzählfigur beginnt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, entstehen Fragen: Warum sind da nur bruchstückhafte Erinnerungen an die eigene Kindheit? Wieso vermag sich die Großmutter kaum von ihrer früh verstorbenen Schwester abzugrenzen? Mit „Blutbuch“ ist Kim de l’Horizon ein Befreiungsschlag von Dingen gelungen, die wir ungefragt weitertragen: Geschlechter, Traumata, Klassenzugehörigkeiten.

Blutbuch, Dumont, 336 Seiten

Fünf Lieben lang – André Acimann

André Acimann kennt ihr vermutlich von „Call me by your name“. Mit „Fünf Lieben lang“ ist ihm ein weiterer Roman gelungen, mit dem es sich wunderbar abtauchen lässt. Ein Buch über die Liebe mit all ihren Fehlern, Kompromissen und den Momenten dazwischen, für die es keine Wort gibt – André Acimann findet sie. Er erzählt von Paul, der die Liebe schon mit zwölf kennenlernt. Doch im Erwachsenenalter weiß er weniger denn je, wie er sie leben soll. Über viele Jahre hinweg erkundet Paul die Liebe, mit Giovanni, Maud und Chloé, im Sommerurlaub in Italien und in New York City. Er liebt bedingungslos und ohne Kompromisse und gibt sich dabei seinen Partner:innen vollkommen hin. Das Buch ist leicht zu lesen und trotzdem mehr als intensiv.

Fünf Lieben lang, dtv, 352 Seiten

Sauhund – Lion Christ

Ein Buch von dem man nicht möchte, das es endet: Flori kommt vom Land und ist auf der Suche nach einem Mann, der ihn mindestens ewig liebt. In den frühen 80er Jahren entscheidet er sich für ein Leben in München, von dem er sich Glanz und Gloria erhofft – er läuft von seinen Eltern davon, vor seiner ersten großen Liebe, vor den Erwartungen an ihn. Mit seinem Debütroman „Sauhund“ ist Lion Christ ein berührendes, radikal ehrliches Buch gelungen. Toll und traurig und lustig zugleich.

Sauhund, Hanser Verlag, 368 Seiten

Aufzeichnungen eines Krokodils – Qiu Miaojin

Taiwan in den 80er Jahren – hier spielt die Geschichte der Studentin Lazi. An einer Elite-Uni formiert sich eine Gegenkultur: Nachdem das Kriegsrecht aufgehoben wurde, bricht die Jugend auf. Sie will leben und lieben, wie sie will. Die chinesischsprachige Autorin Qiu Miaojin erzählt davon wie Lazi sich dagegen wehrt Frauen zu lieben – bis ihre Liebe zu der etwas älteren Shui Ling zur Obsession wird. Dann taucht eines Tages ein Krokodil in Menschenkleidern auf. Was hat es damit auf sich? Nicht umsonst gilt „Aufzeichnungen eines Krokodils“ im asiatischen und amerikanischen Raum der Overseas Chinese Community als Kultbuch. Mit skurrilem Witz erzählt die Autorin offen vom Schmerz ihrer Zeit.

Aufzeichnungen eines Krokodils, Ulrike Helmer Verlag, 340 Seiten

Heartstopper – Alice Oseman

Es ist vielleicht die schönste Liebesgeschichte des letzten Jahres: Die Lovestory zwischen Nick und Charlie trifft euch mitten ins Herz – versprochen! „Heartstopper“ von Alice Oseman kennen manche von euch vielleicht schon von Netflix, wo die Teenie-Romanze seit letztem Jahr als Serie läuft. Jetzt gibt es die Geschichte auch als Comic. Und davon handelt die Graphic Novel: Die ganze Schule weiß, dass Charlie schwul ist. Nick ist der Star der Rugbymannschaft und so straight wie eine Goalline – zumindest glaubt das Charlie. Doch dann entwickelt sich zwischen den beiden eine intensive Freundschaft. „Heartstopper“ ist das perfekte Buch für einen sonnigen Nachmittag im Park! Und psst: Es gibt noch weitere Bände!

Heartstopper, Loewe, 288 Seiten

Terafik – Nilufar Karkhiran Khozani

Der neue autobiografische Roman „Terafik“ von Nilufar Karkhiran Khozani erzählt von einer Identitätssuche die aufwühlt und gleichzeitig mitreißt: Für Nilufars ist es die erste Reise in den Iran und zu der Familie ihres Vaters, der sie als kleines Mädchen verlassen hat um in seine Heimat zurück zu gehen. Angekommen, trifft sie auf eine Gesellschaft voller Gegensätze, ein Leben, das ihres hätte sein können – und einem Vater, der ihr immer dann ausweicht, wenn sie ihm nahekommt. „Terafik“ verhandelt eindringlich Familie, Zugehörigkeit und (kulturelle) Identität.

Terafik, Blessing, 256 Seiten

Wir kommen – Kollektivroman

18 Autor:innen aus mehreren Generationen schreiben über Sexualität und Begehren. Heraus kommt der Kollektivroman „Wir kommen“, der in eurem Bücherregal nicht fehlen darf. Wenn es um die eigene Lust geht, verstummen besonders Frauen und nicht-männlich gelesene Personen sehr schnell. Zu schambesetzt, zu potenziell gefährlich scheint das Thema. „Wir kommen“ setzt dieser Sprachlosigkeit entgegen und macht gesellschaftlich verdrängte Facetten weiblicher und queerer Sexualität sichtbar. Mit dabei sind unter anderem Lene Albrecht, Sirka Elspaß, Yade Yasemin Önder und Julia Wolf.

Wir kommen, Dumont, 224 Seiten

Freunde lieben – Ole Liebl

Freundschaft und Sex passen nicht zusammen, so will es ein ungeschriebenes Gesetz, oder? Ole Liebl zeigt mit „Freunde lieben“ das Gegenteil – und so vieles mehr. Werden traditionelle Familienbilder und das Ideal der einen großen Liebe überbewertet? Ist die Freundschaft plus nur ein Fluchtversuch aus zwanghafter Romantik, wie wir sie aus Hollywood kennen? Oder kann sie auch als Vorbild für neue Wege intimer Beziehungen dienen? Welche sexistischen Narrative prägen unsere Vorstellungen von Freundschaft?Das sind nur wenige der vielen Fragen, mit denen sich Ole Liebl in seinem Buch beschäftigt. Dabei geht er auch auf emotionale und ethische Konflikte ein – eine radikale Neuverordnung der Freundschaft, wie wir sie bislang kannten!

Freunde lieben, Harper Collins, 256 Seiten