Das Parteibündnis des französischen Präsidenten Emmanuel Macron kommt in der ersten Runde der Parlamentswahl auf fast ein Drittel der Stimmen. Der zum Regieren erforderlich parlamentarische Rückhalt ist ihm sicher.

Stuttgart - Emmanuel Macron kann schon mal die Ärmel hochkrempeln. Der zum Regieren erforderliche parlamentarische Rückhalt ist ihm sicher. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Frankreichs neuer Präsident die am Sonntag erzielte Ausbeute seiner Bewegung La République en Marche eine Woche später nicht in eine überwältigende Mehrheit ummünzen könnte. Mit rund 400 der 577 Sitze der Nationalversammlung kann Macron rechnen. Das sind hervorragende Voraussetzungen, um Frankreich im sozialliberalen Sinne umzukrempeln und gemeinsam mit Deutschland mehr Europa zu wagen.

 

In Frankreichs politischer Landschaft steht kein Stein mehr auf dem anderen. Im Sturmlauf hat der 39-Jährige eingerissen, was uneinnehmbare Bastionen schienen. Die Traditionsparteien, die Jahrzehnte lang die Macht unter sich auszumachen pflegten, sind weitgehend zum Zuschauen verurteilt. In sich zerstritten, wissen sie Macron weder mit überzeugendem Führungspersonal noch klarem politischem Kurs Paroli zu bieten.

Die Wirklichkeit wird hinter Macrons Vision zurückbleiben

Der Präsident hat die konservativen Republikaner am Sonntag klar distanziert, die Sozialisten gar zur Kleinpartei degradiert. Hiergegen wäre wenig einzuwenden, würden die Franzosen nun, wie von Macron verheißen, unter seiner Führung freudig in eine alle Mitbürger gleichermaßen beglückende Moderne aufbrechen. Doch so richtig es war, die nach Hollandes glückloser Präsidentschaft von Selbstzweifeln geplagte Nation auf eine Zukunftsvision einzuschwören und Aufbruchsstimmung zu verbreiten: Es ist eben nur eine Vision. Die Wirklichkeit wird dahinter zurückbleiben. Wie jeder Wandel wird der von Macron anvisierte auch Verlierer hervorbringen.

Das gilt bereits für das erste große Vorzeigeprojekt des Präsidenten: die Reform des Arbeitsmarktes. Macron will Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, im Einvernehmen mit den Betriebsräten von Arbeitsrechtsvorschriften und Branchenabkommen abweichende Firmenvereinbarungen zu treffen. Auch soll der Kündigungsschutz reduziert werden. Im Gegenzug will der Staat dafür sorgen, dass Entlassene schneller einen neuen Job finden und während der Suche finanziell besser abgesichert sind. In Skandinavien hat sich das bewährt. Was nichts daran ändert, dass sich die Neuerung für schwer vermittelbare Arbeitskräfte im Wesentlichen darin erschöpfen mag, dass sie schneller auf der Straße stehen.

Auch in Deutschland heißt es nun die Ärmel hochkrempeln

Womit sich die Frage stellt, wer Einwände erheben, die Interessen der Reformverlierer vertreten, die Rolle des Oppositionsführers übernehmen soll. Die vom Präsidenten erfolgreich zerlegten Traditionsparteien dürften dazu kaum in der Lage sein. Bleibt die Radikalopposition, links außen das Unbeugsame Frankreich Jean-Luc Mélenchons, rechts außen der Front National Marine Le Pens. Beide haben am Sonntag der Macronmanie Tribut zollen müssen, wie die Franzosen den Hype um den neuen Präsidenten nennen. Doch das Potenzial Mélenchons und Le Pens ist nach wie vor enorm.

Sollten Macrons Reformen die Franzosen nicht überzeugen, dürften sie 2022 für die ihnen verbliebene Opposition votieren, auf antieuropäische, links- oder rechtsnationale Nabelschau setzen. Die im Mai abgewendete Katastrophe drohte so fünf Jahre später erneut über Europa hereinzubrechen. Was zugleich aber auch heißt: Deutschland und die EU haben fünf Jahre Zeit, um Macron zum Erfolg zu verhelfen. Konkret geht es darum, das Versprechen einzulösen, dass mehr Europa mehr Schutz bedeutet: Schutz vor Terrorismus, sozialem Kahlschlag, Umweltzerstörung. Die Bundeskanzlerin hat sich bereit erklärt, mit Macron mehr Europa zu wagen. Auch in Deutschland heißt es nun die Ärmel hochkrempeln und den Worten Taten folgen lassen.