Musikalische Eindimensionalität? Kein Problem: Angeführt von Samu Haber, dem Lieblingsfinnen der deutschen Popfans, haben Sunrise Avenue in der Schleyerhalle 12.500 Fans begeistert.

Stuttgart - Dass Popbands eine Identifikationsfigur, einen Frontmann brauchen, der diesem Produkt, diesem musikalischen Showartikel ein Gesicht gibt, geht schon in Ordnung. Doch muss der Rest der Kapelle deshalb gleich ganz in den Hintergrund treten? Samu Haber, Sänger von Sunrise Avenue, erwähnt seine Mitstreiter beim Konzert in der ausverkauften Schleyerhalle erst ganz zum Schluss: Den Bass bediente am Samstagabend Raul Ruutu, das Schlagzeug wurde von Sami Osala bearbeitet, Riku Rajhamaa agierte als Leadgitarrist, und hinter den Keyboards saß Osmo Ikonen.

 

Nicht, dass die Namen dieser Musiker weiter wichtig wären; zur Gruppenidentität tragen sie zweifellos nicht in nennenswertem Maße bei. Doch als Gruppe muss man Sunrise Avenue wohl auch nicht mehr betrachten, und Tugenden wie Höflichkeit und Kollegialität handhabt Samu Haber bandintern offensichtlich recht pragmatisch: kann man machen, muss man aber nicht. In expliziter Deutlichkeit zeigt dieser Abend jedenfalls, wie sehr sich dieses finnische Ensemble seit seiner Gründung im Jahr 1992 zur One-Man-Show entwickelt hat – und einen kleinen Moment lang fragt man sich, was wohl der TV-Juror Haber („The Voice of Germany“) angesichts solcher Allüren über den Kandidaten Haber sagen würde.

Nur nicht zu komplex werden

Der Erfolg gibt Haber Recht: Mit Dackelblick, Frauenverstehercharme und kühlem Kalkül hat sich der Sänger zum Lieblingsfinnen der deutschen Popfans, zum Gute-Laune-Bär der leichtgewichtigen Feelgood-Music emporgeschäkert – und nur darum geht es auch in der Schleyerhalle. Ausschließlich als Glücklichmacher und Trostspender interpretiert Haber seine Rolle als Sunrise-Avenue-Leader, er propagiert einen Dreiklang aus Tanzbarkeit, Fröhlichkeit und Pathos, der Pop auf seinen kleinsten Nenner herunterbricht: bloß keine Extravaganzen – Hauptsache, wir haben Spaß und es fühlt sich gut an.

Ein expliziter Optimismus ist nicht nur die Basiseigenschaft dieser Musik, es ist ihre einzige. „You can be the one, you can be the light / You can be a star that shines at night“, schwärmt Haber etwa in „Flag“, und „You are beautiful the way you are“ tröstet er in „Beautiful“, „you are you because you have your scars“ – du bist schön, so wie du bist, und deine Narben machen dich zu dem, was du bist: Poesiealbumslyrik für eine vorwiegend weibliche Fangemeinde an der Grenze vom Teenager zum Twen. Auch musikalisch funkt der Sunrise-Avenue-Sound ganz nah am Takt der Zeit, überträgt das Twitter-Prinzip von Simplizität und Komprimierung ins Musikalische. Nur nicht zu komplex werden, heißt das Motto dieses konsequent nur in den Grundfarben Rhythmus und Melodie colorierten Partypops. Stets schalten die Kompositionen nach fünf bis sieben Tönen in den Repeat-Modus, wiederholen ihre Hauptmotive, variieren sie gerne ins Rockige (wie in „Unholy Ground“ mit starkem Bon-Jovi-Einschlag) und noch viel lieber ins folkloristische Niemandsland zwischen den Schottenrockern Runrig und Rea Garvey, dem Lieblingsiren der Deutschen.

Große Gefühle in drei Minuten

Trotz dieser dramaturgischen Vorhersehbarkeit und klanglichen Eindimensionalität treffen die Finnen perfekt die Bedürfnisse von zwölftausendfünfhundert Fans. Ein penetranter Vier-Viertel-Takt treibt die Songs mit voller Kraft voraus durch den Mainstream, Hits wie „Lifesaver“ und „Fairytale gone bad“, Stücke vom aktuellen Albums „Heartbreak Century“. Mit sonor-schmeichlerischer Altstimme schmettert Haber jene bandtypischen „hohoho“-Melodien in die Halle, die große Gefühle in radio-taugliche DreiMinuten-Lieder abfüllen.

Die mit viel Licht illuminierte Bühne funkelt zu dieser penetrant auf jubilierende Obertöne hinfrisierten Musik bunt wie eine Vorstadt-Spielothek, und auf den Videoscreens erscheint mit einem Potpourri aus Meeres- und Bergmotiven, aus Wolken und Wellen das optische Pendant zum rockromantischen Wohlfühlprogramm. So geht es durch einen einhundertfünf Minuten langen Auftritt, den das Schleyerhallenpublikum mit viel Applaus quittiert. Allerdings: Länger als nötig halten sich weder Band noch Publikum mit dem gerade gespielten Song auf, wenige Sekunden Beifall, ein bisschen Smalltalk – und weiter geht es zur nächsten Nummer und bis hinein ins Finale.

Erwartungsgemäß fällt der Vorhang natürlich mit „Hollywood Hills“, der ganz großen Packung Breitwand-Poprock einer Band, die sich mit Haut und Haaren dem Mainstream verschrieben hat. Das muss man erstmal können, das muss man vor allem erst mal wollen. Den erforderlichen Sunnyboy-Faktor für diesen Job besitzt Samu Haber jedenfalls ohne Zweifel – und den nötigen Willen zur musikalischen Vereinfachung ebenfalls.