Wer illegal sprüht, begeht eine Straftat. Doch der Graffiti-Anwalt Patrick Gau beklagt, dass teils unverhältnismäßig gegen Sprayer vorgegangen wird. Ein Interview über Drohnen, Nachtsichtgeräte und Sozialstunden.

Stuttgart - Graffiti ist inzwischen bei vielen als eine Kunstform anerkannt. Dazu beigetragen haben auch Sprayer wie Banksy, seine Ausstellungen ziehen inzwischen Hunderttausende an. Die Popularität von Graffiti hat auch dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen quer durch alle Gesellschaftsgruppen und Altersklassen sprühen.

 

Das habe seit den 90ern zu einer massiven Veränderung der Szene geführt, sagt Graffiti-Anwalt Patrick Gau. Früher kannte jeder jeden, die Sprayer waren ein kleiner, eingeschworener Zirkel. Der Nachwuchs wurde „mitgenommen und mündlich in die Regeln und den Ehrenkodex eingewiesen“, sagt Gau, dadurch sei eine gewisse Verhaltensweise immer weitergegeben worden. Seitdem dann die ersten Läden mit Graffiti-Zubehör aufmachten und es immer mehr Sprayer gab, ging diese Tradition verloren.

Illegales Sprayen gilt in Deutschland als Straftat. Zum Teil werde unverhältnismäßig gegen illegale Sprayer vorgegangen, findet Gau: Da werde dann schon mal ein junger Sprayer zu Schadensersatz verurteilt, der in einem schon vollgesprühten, zum Abriss freigegebenen Haus ein Werk hinterlässt. Die Deutsche Bahn plant, mit Drohnen gegen die unliebsamen Malereien vorzugehen – obwohl dieses Verfahren von Experten stark angezweifelt wird.

Bei Sachbeschädigung zuschauen

Der Graffiti-Anwalt Gau erzählt von Fällen, in denen Polizisten sich mit Nachtsichtkameras auf die Lauer legen. Diese Praxis werde seiner Aussage nach häufig von Gerichten kassiert, da die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt sei. „Es ist schon merkwürdig, wenn die Polizei dabei zuschaut, wie fremdes Eigentum zerstört wird, um es auf Video aufzuzeichnen“, sagt Gau. Außerdem dürften Geräte wie Nachtsichtkameras nur bei schweren Straftaten eingesetzt werden. Dennoch sei das eine Methode, auf die man bei der Bahn weiterhin setze.

„Das Vorgehen bei der Observation der Täter beziehungsweise der Tatobjekte erfolgt lageabhängig nach ermittlungstaktischen Grundsätzen“, sagt ein Sprecher der Bundespolizei auf Anfrage. Der Zugriff erfolge zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Und: „Die Bundespolizei stimmt die Ermittlungen anlässlich der Graffitidelikte mit den Stellen der Deutschen Bahn AG ab.“ Zum Einsatz von Nachtsichtkameras bei der „Observation“ nimmt die Bundespolizei „aus einsatztaktischen Gründen keine Stellung“.

Der Graffiit-Anwalt Patrick Gau hingegen war zu einem ausführlichen Gespräch mit uns bereit.

Interview mit Graffiti-Anwalt Patrick Gau

Wann ist Graffiti strafbar?
Grundsätzlich immer dann, wenn man keine Erlaubnis hat, schwer entfernbare Farbe verwendet wird und der Gegenstand nicht schon beträchtlich vorbeschädigt ist.
Kann ein Graffiti im Nachhinein legalisiert werden, wenn beispielsweise der Besitzer des Hauses o.ä. es so gut findet, dass er es behalten möchte?
Graffiti ist ein sogenanntes „relatives“ Strafantragsdelikt. Das heißt, dass die Zurücknahme eines Strafantrages nicht zwingend zu einer Einstellung führt. Nimmt der Staatsanwalt an, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Bekämpfung von Graffiti besteht, kann er die Straftat trotzdem weiterverfolgen.
Wie sieht das Strafmaß aus?
Bei erwachsenen Ersttätern erfolgt in der Regel eine Geldstrafe, die vom Nettoeinkommen abhängig ist. Bei jugendlichen Ersttätern werden normalerweise Sozialstunden verhängt. Allerdings drohen bei einer Verurteilung auch massive Schadensersatzforderungen, was leicht übersehen wird.
Machen sich auch Minderjährige strafbar beziehungsweise können die Eltern haftbar gemacht werden?
Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres haben Minderjährige strafrechtliche „Narrenfreiheit“. Eltern können zivilrechtlich haftbar gemacht werden, wenn man ihnen nachweisen kann, dass sie ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben.
Inwiefern ist der Besitz von Graffitiutensilien ein Problem?
Graffitiutensilien sind an sich nicht verboten. Allerdings können für den Fall einer Wohnungsdurchsuchung unreflektierte Personen leicht annehmen, dass man beispielsweise alles auch illegal gesprüht hat, was sich in den Skizzenbüchern findet. Sofern ein Arsenal von mehreren Hundert Sprühdosen gefunden wird, glaubt einem auch niemand mehr, dass es nur ein „Ausrutscher“ war.
Die Bahn möchte zur Überwachung ihrer Anlagen Drohnen gegen Sprayer einsetzen. Wie würden Sie als Strafverteidiger in dem Fall vorgehen, dass Ihr Mandant durch eine Drohne erwischt wurde?
Ich würde der Verwertung der Aufnahmen widersprechen. Meiner Meinung nach sind die durch Drohnen gemachten Aufnahmen rechtswidrig.
Gibt es unter Sprayern noch einen Ehrenkodex?
Nein, die Zeiten sind lange vorbei. Es gibt noch einen inneren kleinen Kreis, der alte Werte pflegt, aber die Masse an Malern macht das nicht. Es wird abgemalt, kopiert, gecrosst, mit Silberbildern über bunte Bilder gemalt.
Warum ist das so gekommen?
Die Szene hat sich in den Neunziger Jahren massiv verändert. Damals gab es nur wenige Sprayer, und die kannten sich alle untereinander. Wenn früher neue Sprayer kamen, hat man sie am Anfang mitgenommen und mündlich in die Regeln und den Ehrenkodex eingewiesen. Irgendwann wurde das dann zum Massenphänomen.
Und bei den neuen Sprayern herrschte dann kein Verständnis für den Kodex?
Viele denken sich dann, wie bescheuert ist das denn, Regeln abzulehnen, sich dann aber selbst welche geben zu wollen. Die alten bedauern das, die neuen sehen das eher als anarchistische Freiheit an.
Hat das auch Auswirkungen auf die Kunst selbst?
Inzwischen kann jeder ein Bild sprühen. Schon deshalb, weil die Ausrüstung viel einfacher zu haben und günstiger geworden ist. Früher gab es regionale Stile. Dort saß man dann zusammen bei einem Bier und sprach über seine Graffiti, entwickelte eigene Stile. Dann reiste man vielleicht mal in eine andere Stadt, traf dort aktive Sprayer und nahm Anregungen mit nach Hause. Heute kann jeder im Internet oder aus Magazinen Bilder nehmen und diese nachmachen.
Was müsste getan werden zur besseren Prävention und gleichzeitigen Entkriminalisierung?
Letzten Endes beweisen Maler doch eine Menge nützlicher Soft-Skills. Sie kundschaften Plätze aus, sortieren Dosen, malen Skizzen, gehen konzentriert und zügig ans Werk. Es bleibt nur der Nachteil, dass das Produkt strafbar ist. Wenn die Politik also genügend legale Flächen schaffen würden, würde jede Dose, mit der gemalt wird, nicht mehr illegal vermalt werden, aber die Ausprägung der Skills bliebe. Es sollten Wettbewerbe veranstaltet werden, auf denen zeitgleich die Polizei informieren kann, was für Forderungen illegale Graffiti verursachen können.
Aber ist für viele nicht gerade dieser Nervenkitzel der Illegalität spannend?
Es gibt Leute, die wollen sich künstlerisch verwirklichen. Anderen geht es eher um den Nervenkitzel. Aber gerade die Kreativen würden sich mit Sicherheit mehrheitlich darauf einlassen. Die sagen sich, wieso sollen sie sich den Stress antun, nach durch einen Schacht zu kriechen, wenn ich tagsüber mit Bier und Grill und einer Leiter ganz in Ruhe legal sprühen kann. Zur Zeit werden Freiflächen aber eher wieder geschlossen, es gibt zu wenig legale Flächen.