Die von den USA beklagten Nachteile in der Leistungsbilanz gegenüber Europa sind zweifelhaft, wie Zahlen der US-Behörden zeigen. Doch auch der Exportweltmeister Deutschland muss sich bewegen, die Inlandsinvestitionen sind zu niedrig.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt -

 

Im Handelsstreit mit den USA setzt die Physikerin Angela Merkel auf nüchterne Zahlen. Die Kritik von US-Präsident Donald Trump am Handelsüberschuss der Europäer sei statistisch nicht gerechtfertigt, sagte die Kanzlerin am Mittwoch im Bundestag. Trump beziehe sich nämlich nur auf den Warenhandel ohne Dienstleistungen, was „sozusagen fast altmodisch“ sei – eine Bemerkung, die in der Aufregung über die Flüchtlingsdebatte praktisch unterging.

Das Münchener Ifo-Institut hatte vor einigen Wochen darauf hingewiesen, dass die Leistungsbilanz zwischen den USA und der EU seit Jahren ziemlich ausgeglichen sei. Neben dem Warenverkehr fließen in die Leistungsbilanz auch der Handel mit Dienstleistungen sowie im Ausland erzielte Einkommen aus Vermögensanlagen ein. Zu Letzteren zählen die Gewinne, die europäische Tochtergesellschaften von US-Konzernen in die Heimat überweisen. In der Gesamtschau ergebe sich für die USA 2017 sogar ein Leistungsbilanzüberschuss von umgerechnet zwölf Milliarden Euro, erklärte das Ifo-Institut unter Berufung auf Zahlen des US-Handelsministeriums. Dummerweise kommt die europäische Statistikbehörde Eurostat zu einem ganz anderen Ergebnis. Nach ihren Berechnungen erzielte die EU im vergangenen Jahr gegenüber den USA einen Leistungsbilanzüberschuss.

Zahlenspiele bringen wenig

Der Bundesrepublik bringen die Zahlenspiele in der Auseinandersetzung mit Trump ohnehin wenig – denn der deutsche Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den Vereinigten Staaten ist unstrittig. Laut Bundesbank belief er sich 2017 auf gut 50 Milliarden Euro. Weltweit erwirtschaftete Deutschland sogar einen Leistungsbilanzüberschuss von mehr als 260 Milliarden Euro, das entspricht acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Während die Überschüsse in Deutschland als Erfolgsbeweis für die Exportwirtschaft gelten, werden sie im Ausland kritisiert – nicht nur von Trump. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) mahnte am Donnerstag zum wiederholten Mal Schritte zur Verminderung des Leistungsbilanzüberschusses an. Während die USA die deutsche Exportwirtschaft ins Visier nehmen, geht es dem IWF aber um höhere Inlandsinvestitionen.

„Das Problem ist nicht, dass wir zu viel exportieren“, meint auch der Düsseldorfer Volkswirtschaftsprofessor Jens Südekum. „Es geht darum, dass wir zu wenig importieren, weil wir zu wenig konsumieren und investieren und zu viel sparen.“ Zwar sei richtig, dass die Deutschen Geld fürs Alter zurücklegen müssten. „Die Ersparnisse der Privathaushalte können aber höchstens einen Leistungsbilanzüberschuss von vier Prozent des BIP erklären“ – und eben nicht von acht Prozent, so der Experte. Zwar sei der Überschuss als solcher unproblematisch – nicht aber der Hintergrund: Dass deutsche Unternehmen ihr Geld lieber im Ausland als hierzulande investierten.

Bürokratie und Fachkräftemangel

Ganz ähnlich sieht es Galina Kolev vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln: „Wir haben es mit einer unterdurchschnittlichen Investitionstätigkeit zu tun. In den letzten zwei Jahren sind die Brutto-Anlageinvestitionen zwar wieder etwas stärker gestiegen als davor, aber auch Wachstumsraten von drei Prozent sind für eine Aufschwungsphase noch wenig.“ In einer Umfrage des IW zu den größten Investitionshürden hätten über die Hälfte der befragten Unternehmen die hohen Bürokratiekosten genannt, mehr als 45 Prozent aber auch den Fachkräftemangel. „Warum soll ein Unternehmen eine Maschine kaufen, wenn die Mitarbeiter fehlen, die die Maschine bedienen sollen?“, fragt Kolev. „Auch die hohen Energie- und Arbeitskosten spielen eine Rolle, daneben die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft. Die Unternehmen möchten einfach für die Zukunft gewappnet sein und deshalb ein Finanzpolster vorhalten.“

Um das Investitionsklima zu verbessern, sehen die Experten den Staat in der Pflicht. Neben steuerlichen Vergünstigungen für Forschungs- und Entwicklungsausgaben fordern Südekum und Kolev unisono höhere staatliche Ausgaben für Infrastruktur und Bildung. „Je mehr der Staat dort investiert, desto stärker steigen auch die privaten Investitionen. Welches Unternehmen will schon in einer Region investieren, in der es kein schnelles Internet gibt, keine vernünftigen Schulen für die Kinder der Mitarbeiter und nicht genug Bauflächen für attraktive Wohnungen?“, fragt Südekum.

Löhne und Wettbewerbsfähigkeit

Die Unternehmen selbst sollten dafür großzügiger gegenüber ihren Mitarbeitern sein, meint der Düsseldorfer Volkswirtschaftler: „Seit 2012 steigen die Löhne wieder etwa im Einklang mit der Produktivität, aber wir haben den Rückstand aus der ersten Dekade des Euro nicht aufgeholt.“ Hier ist Kolev vom arbeitgebernahen IW zurückhaltender: „Es gab dieses Jahr hohe Tarifabschlüsse, etwa in der Metallbranche und im öffentlichen Dienst. Da hat sich schon vieles getan.“ Auch dürften die Löhne mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu sehr steigen: „Die Lohnstückkosten sind beispielsweise in den USA um ein Viertel niedriger als in Deutschland.“