Die Art Basel bringt wieder Kunst von allen fünf Kontinenten ans Rheinknie. Die Geschäfte laufen prächtig, wobei Hochpreisiges reichen Sammlern vorbehalten bleibt. Für das breite Publikum sind vor allem auch die Nebensektionen interessant.

Basel - Die Art Basel ist nachhaltig geworden. Im 46. Jahr ihres Bestehens kehrt sie ihre soziale, menschenfreundliche Ader hervor. Auf dem Platz vor dem Messegebäude, wo die weltgrößte Kunstmesse für gewöhnlich prologartig mit großzügig dimensionierten, spektakulären Kunstwerken aufwartet und um Aufmerksamkeit heischt, breitet sich dieses Mal annähernd platzfüllend eine einzige Installation aus. In „Do we dream under the same sky“ verpflanzt der Konzeptkünstler Rirkrit Tiravanijas eine selbstversorgende (Künstler-)Gemeinschaft von seiner thailändischen Heimat temporär in die Mitte Europas. Auf Bambustischen und unter Bambusdächern putzen, schneiden und dünsten Besucher der Art Basel für sich und andere Messegäste Gemüse und kochen Tee; die Schlange vor der kostenlosen Ausgabe von Speis und Trank ist lang. Nach dem Mahl wäscht jeder ökologisch korrekt das eigene Geschirr und Besteck ab.

 

Drinnen, in den Messehallen, hat das humane Miteinander freilich ein Ende. Hier regieren die harten Zahlen, das lukrative Geschäft mit der Kunst von der Klassischen Moderne bis zur Gegenwart. Millionen-, richtiger: Milliardenwerte haben die 284 ausstellenden Galerien aus 33 Ländern und allen fünf Kontinenten mit ans Rheinknie gebracht. Nachhaltig ist hier nur der andauernde Boom der Branche. Optimismus, wohin man blickt und hört, die Geschäfte laufen prächtig. Und alles geht – ob Gemälde, Grafik und Skulpturen oder Installationen und Foto- oder Videokunst.

Bereits an den beiden Preview-Tagen für VIPs und Sammmler, also vor der Öffnung der Art fürs breite Publikum am Donnerstag, hat so manches Kunstwerk den Besitzer gewechselt. Die Bandbreite der Preise ist groß, von null Euro für ein Bonbon im blauen Glitzerpapier, stibitzt aus Elaine Sturtevants Reprise von Felix Gonzalez-Torres’ freigiebiger Bonbon-Bodeninstallation „Blue Placebo“ im Sektor Art Unlimited, über die 22 000 Dollar für ein radiertes Beckmann-Selbstporträt bei St. Etienne aus New York bis hin zu mehreren Millionen Dollar oder Euro für ein kleines Aquarell von Egon Schiele oder Klees Mischtechnik „Der Sänger L. als Fioridigli“ bei der Münchner Galerie Thomas. Picassos „Sitzender Mann“, bei Hopkins für 5,6 Millionen Euro im Angebot, bezeichnet preislich wohl noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Was gäbe man nicht für Beckmanns hinreißendes „Stillleben mit violetten Dahlien“ von 1926 (Michael Haas, Zürich) . . . es wäre vermutlich viel zu wenig.

Das Leben der Tiere, das Bild des Menschen

Die Welt der Dinge. Sie beschäftigt nicht allein die Maler (Nate Lowman) und Fotografen (Sarah Charlesworth, beide bei Maccarone aus Übersee), sondern auch Installationskünstler wie Nuno Ramos mit seiner Assemblage aus zerbrochenen Vasen bei Fortes Vilaca oder den Konzeptkünstler Roman Ondák in seinen lapidar montierten Türklinken (Esther Schipper). Auch konzeptuelle Dokumentaristen wenden sich dem Materiellen zu. Hans-Peter Feldmanns „Wunderkammer“ macht ihrem Titel mit einer akkuraten Präsentation von tausenderlei Gebrauchsdingen Ehre. Die Dingewelt inspiriert zumal die Bildhauer: von Robert Gobers „Ear with Axe“ (Matthew Marks Gallery, NY) über Rirkrit Tiravanijas Parade von Pissoirs bis zu Ai WeiWeis fabelhaftem blauem Baumstumpf (Neuger-Riemschneider). Bei Marcel Broodthaers haben die Bewohner eines Tierstilllebens, Hummer und Krabbe, klammheimlich das Bild verlassen.

Das Leben der Tiere. Aus dem Bestiarium der diesjährigen Art ließe sich ein veritabler Zoo bestücken. Michael Borremans’ gemalter Rappe zitiert schon im Bildformat Géricault. Das Fell von Sean Landers’ Kojoten in Öl ist geometrisch gemustert, Katharina Fritschs schwarze Ratte zu Menschengröße heranmutiert, ein Minielefant bei der Carlier Gebauer Gallery dagegen zu Pillengröße geschrumpft. Herrlich und erheiternd Warhols „Cows“ im Siebdruck; große grafische Kunst auch die Schmetterlinge vor Himmelblau von Damien Hirst bei Paragon. Mike Kellys Wandspirale aus unterschiedlichsten Stofftieren haftet etwas Unheimliches an, nicht weniger unheimlich sind Thomas Schüttes „United Enemies“ bei Carolina Nitsch, New York, mit ihren comicartig deformierten Greisengesichtern.

Existenzielle Kurzgeschichten

Das Bild des Menschen: kritisch, pessimistisch. Das zieht sich durch. Bei Baselitz steht er Kopf, bei Tony Cragg zerfließt er wie Margarine ins Unförmige; Feldmann setzt ihm rote Clownsnasen auf. Auch bloße Schriftbilder liefern Aussagen über die Spezies. „Teach us to outgrow our madness“, formuliert stoßgebetartig Alfredo Jaar in Neonröhrenschrift bei der Goodman Gallery. Janice Kerbel erzählt bei Catriona Jeffries aus Vancouver mit fünf Begriffen in abwechselnder Reihenfolge existenzielle Kurzgeschichten. Anrührend Steven Shearers „Sleep Triptych“, eine Tapete mit Fotografien von Hunderten schlafender Menschen, noch anrührender Kara Walkers „African Boy“ mit riesiger, leerer Schüssel vor dem Bauch (Sikkema Jenkins & Co.).

Wie jedes Jahr teilt sich die Art in verschiedene Sektionen auf. Da gibt es die Art Features mit dreißig kuratierten Galerieprojekten und die Art Statements mit jungen Künstlern und Galerien. Art Salon und Conversations bieten Vorträge, Gespräche und Podiumsdiskussionen. Art Parcours präsentiert, heuer im historischen Zentrum der Stadt, Outdoor-Kunstwerke.

Keineswegs verpassen sollte man die Sektion Art Unlimited mit Kunst in Übergröße – 74 raumsprengende Werke aus fünf Jahrzehnten in Halle 1, darunter Ai WeiWeis architektonische Installation aus 760 Fahrrädern der in China am meisten verbreiteten Marke. Kader Attias Installation „Arab Spring“ erinnert mit zerstörten Vitrinen an die Hoffnungen und Enttäuschungen des Arabischen Frühlings. Marcia Hafif zeigt einen Bilderfries aus monochromen Quadraten von Grau bis Schwarz. Julius von Bismarck kreiselt in „Egocentric System“ auf einer Drehbühne geradezu egomanisch um sich selbst. Wer will, kann David Shrigleys „Life Model“ selbst porträtieren, und wer schon zu erschöpft ist, kann sich bei einer Tasse Tee in einer Hängematte des Brasilianers Opavivará von den Anstrengungen des Kunstgenusses erholen.

Mag die Art Basel für die Aussteller nicht mehr sein als ein gigantischer Handelsplatz, für den an Kunst interessierten Besucher ist sie ein Panoptikum – die (Kunst-)Welt in der Nussschale, faszinierend, unerhört, überwältigend.