Kunst-Pominenz, angeführt von Documenta-14-Lenker Adam Szymczyk, umringte am Mittwochvormittag vor dem Künstlerhaus Stuttgart die Biennale-Künstlerin Maria Eichhorn. Was war da los?

Reden will sie selbst nicht. „Mein Werk spricht für sich“, sagt Maria Eichhorn. Sie ist eine der international bekanntesten deutschen Künstlerinnen, nahm unter anderem 2017 an der Weltkunstausstellung Documenta 14 in Kassel teil und bespielte 2022 den viel diskutierten Deutschen Pavillon bei der Biennale Venedig. Am Mittwochvormittag steht sie mitten in einem Pulk vor dem Künstlerhaus Stuttgart. Das Gebäude in der Reuchlinstraße 4B bietet Werkstätten, Arbeitsräume und Ausstellungsräume für Künstlerinnen und Künstler. Ein reiner Ort der Freiheit? Ein Werk von Maria Eichhorn bringt den Ort mitten in die Debatte um Raubgut in Hitler-Deutschland.

 

Documenta-14-Lenker Adam Szymczyk spricht vor einer Tafel, die am Mittwoch enthüllt worden ist. Dokumentiert ist die Geschichte des Gebäudes Reuchlinstraße. Eine Geschichte, die nicht mit der Künstlerhaus-Gründung 1978 beginnt. Kühl heißt es nun: „Dieses Gebäude in der Reuchlinstraße 4b wurde 1909 errichtet. Von 1910 bis 1935 diente es als Produktionsstätte der Firma Nördlinger & Pollock, die Koffer und Taschen herstellte. Die Gründer des Unternehmens in jüdischem Besitz waren Sigmund Nördlinger (geboren in Laupheim bei Ulm am 2. Februar 1868, ermordet im Vernichtungslager Treblinka am 21. oder 22. September 1942) und Julius Pollock (geboren in Freiburg im Breisgau am 3. September 1866, gestorben am 25. Dezember 1937 in Stuttgart).“

Staatlich gedeckter Raub

Eine Dokumentationstafel als Kunstwerk? Maria Eichhorns Werk entsteht aus künstlerischer Forschung, ist künstlerische Forschung und dokumentiert künstlerische Forschung. Der Satz „Am 1. August 1935 wurde die Liegenschaft Reuchlinstraße 4b zwangsversteigert. Einzige Bieterin war die Württembergische Landessparkasse, die das Gebäude samt Inventar weit unter Marktwert erwarb“, skizziert den staatlich gedeckten Raub.

Markierung bringt Veränderung

Das Kulturamt der Stadt Stuttgart hat die Produktion der Tafel ermöglicht. Für ein Jahr ist sie nun am Künstlerhaus positioniert. Und dann? „Es wäre natürlich schön und wichtig, dass dieses Kunstwerk weiterhin zu sehen ist“, sagt Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner. Und auch Maria Eichhorn wünscht sich das. „Vielleicht ja als Teil der Kunst im öffentlichen Raum“, sagt sie. Erarbeitet hat sie die Geschichte des Gebäudes über das von ihr zur Documenta 14 gegründete Rose Valland Institut. Eric Golo Stone hatte das Projekt „Reuchlinstraße 4 b, 70178 Stuttgart (2023—)“ als Künstlerischer Leiter des Künstlerhauses wesentlich begleitet. Jetzt eigens aus Berlin angereist, ist er immer noch spürbar berührt von der Kraft des Projektes. „Das Gebäude Reuchlinstraße 4 ist nicht mehr das Gebäude, das wir bisher kannten“, sagt er.

Ist die Geschichte zu Ende?

Der Dank gilt an diesem Vormittag vielen – etwa Iris Dressler und Hans D. Christ, Direktorenduo des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart. Aber auch Hans Dieter Huber, lange Jahre Professor für Kunstwissenschaft an der Kunstakademie Stuttgart. Vor allem aber dem Künstlerhaus-Team und dem Beirat des Künstlerhauses. An das Mikrofon will Maria Eichhorn an diesem Vormittag nicht treten. Einen wichtigen Hinweis gibt sie im Gespräch dann doch: „Ich bin gespannt, was in einem Jahr passiert“, sagt sie. Juristisch ist die Stadt Stuttgart, die das Gebäude am 26. November 1936 von der Württembergischen Landessparkasse erwirbt, scheinbar auf der sicheren Seite. Maria Eichhorns Werk „Reuchlinstraße 4 b, 70178 Stuttgart (2023—)“ summiert: „Am 20. Dezember 1948 wurde beim Amtsgericht Stuttgart, Schlichter für Wiedergutmachung, ein Anspruch auf Rückerstattung der Liegenschaft Reuchlinstraße 4b angemeldet.“ Und dann: „Am 12. Mai 1953 wurde die Abweisung des Rückerstattungsantrags seitens des Landgerichts Stuttgart rechtskräftig. Das Gericht akzeptierte das Argument der Beklagten, dass die Zwangsvollstreckung der Immobilie 1935 gerechtfertigt gewesen war.“