Seit 150 Jahren verarbeitet die Hegnacher Mühle in Waiblingen Getreide aus der Region. Die Müllerin Thea Scholz verrät, wie eine kleine Mühle überleben kann – und wieso sie selbst optimistisch in die Zukunft blickt.

Wer Thea Scholz im Alter von fünf Jahren nach ihrem Berufswunsch fragte, bekam an manchen Tagen die klare Antwort: Müllerin. „Am nächsten Tag wollte ich dann etwas anders werden“, erzählt die 29-Jährige und lacht. Im Teeniealter änderte sich das. „Als ich 16, 17 war, habe ich beschlossen, dass ich das hier machen will“, sagt Thea Scholz – und meint damit den Betrieb der Hegnacher Mühle, die an der Rems unterhalb der Waiblinger Ortschaft Hegnach liegt.

 

Mit diesem Entschluss setzt die junge Frau eine lange Tradition fort. Die Mühle ist schon 125 Jahre in Familienbesitz – seit Thea Scholz’ Urururgroßvater Jakob Ehni sie 1899 von einem Gottlob Gassert übernommen hat. Dieser wiederum hatte die Mühle von David Reinhardt gekauft, der sie im Jahr 1874 baute, aber selbst nur drei Jahre behielt.

Anders als ihre Vorfahren hat Thea Scholz, deren Vater Ulrich Stietz 1998 den Betrieb übernahm, mit Eltern und Schwester nie auf dem Gelände der Mühle gewohnt. Dennoch war die idyllisch gelegene Mühle ein Ort, an dem sie von Kindesbeinen an sehr viel Zeit verbracht hat. Kein Wunder, dass sie im Rückblick sagt: „Ich konnte mir nicht vorstellen, nicht mehr hierher zu kommen. Die Vorstellung, dass das alles hier verkauft wird, ging nicht in mein Hirn.“

Nur zwei Schulen bilden noch in dem Traditionsberuf aus

Auch deshalb entschied sich Thea Scholz für die Müllerei, die Jakob Ehni längst nicht als Erster in der Familie betrieben hat. Die Spur der Müller lasse sich bis zurück um das Jahr 1500 verfolgen, berichtet Thea Scholz. Zu ihrem Glück befindet sich eine der nur zwei Berufsschulen in Deutschland, die Müller ausbilden, in Stuttgart. Korrekt lautet die sperrige Berufsbezeichnung heute „Verfahrenstechnologe in der Mühlen- und Getreidewirtschaft“. Der Mühlenbetreiber und Müllermeister Ulrich Stietz unterrichtet dort an einem Tag in der Woche den Nachwuchs, der überwiegend männlich ist.

Die Berufsschule in Stuttgart ist die einzige, die einen Meisterlehrgang anbietet. In diesem lernte Thea Scholz ihren Mann Janek kennen. Der 30-Jährige stammt aus Franken und ist eigentlich Tee- und Gewürzmüller. Weil die maschinellen Abläufe ähnlich wie beim Getreide sind, brauchte er aber nur ein Vierteljahr um sich in Hegnach einzuarbeiten. Heute ist er für die Produktion zuständig – von der Getreideannahme bis zur Verpackung. Sein Schwiegervater Ulrich Stietz liefert die Ware aus und arbeitet in der Produktion.

Im Jahr 2025 übernehmen die Scholzens den Betrieb

Thea Scholz kümmert sich ums Büro und erledigt die Arbeiten, die notfalls etwas liegen bleiben können. Denn der Nachwuchs, siebenjährige Zwillingsjungs und ein vierjähriger kleiner Bruder, muss ja auch versorgt werden. „Die Tätigkeit in der Produktion fehlt mir manchmal schon“, sagt die Müllerin, die nach eigener Einschätzung mit Vater und Mann „ein Dreier-Dream-Team“ bildet. „Der Generationenwechsel klappt total gut. Mein Vater ist bereit abzugeben, und wir profitieren von seiner Erfahrung und seinen Kontakten.“

Als Ulrich Stietz 1998 die Hegnacher Mühle von seinem Vater übernahm, ging er Klinkenputzen, sprach bei Bäckern, Pizzerien und Gastronomen vor. Die Hegnacher Mühle war zu dieser Zeit kein reiner Dienstleistungsbetrieb mehr wie zur Zeit seines Großvaters. „Zu seiner Zeit brachten die Bauern ihr Getreide und nahmen das Mehl mit. Der Müller bekam einen Mahllohn“, sagt der 59-Jährige. Wegen des Schwunds, der bei der Produktion unweigerlich entsteht, seien Müller oft verdächtigt worden, Mehl abzuzweigen: „Der Beruf war früher etwas negativ besetzt.“

Heute ist die Hegnacher Mühle eine der letzten ihrer Art an der Rems. Zum großen Mühlensterben Ende der 1950er Jahre trug das Mühlengesetz viel bei. Es legte fest, dass für den Bau von Mühlen eine Genehmigung nötig ist. Und dass Müller, die die Tagesleistung erhöhen wollten, dies vorab absegnen lassen mussten. Gleichzeitig vergab der Staat Prämien an Betreiber, die sich dazu verpflichteten, ihre Mühle 30 Jahre still zu legen. Das Mühlensterben war gewollt.

„Wir haben das Glück, dass kein Vorfahr die Prämie genommen hat“, sagt Thea Scholz. Heute beliefert die Hegnacher Mühle rund 30 Supermärkte in der Region. Ein weiteres Standbein ist der 1985 gegründete Mühlenladen. Im selben Jahr begann man auch nach 50 Jahren Pause, den zeitweise aus der Mode gekommenen Dinkel zu mahlen.

Das große Mühlensterben hat die kleine Mühle überlebt

Letzterer wächst, wie der Weizen, der Roggen und die Urgetreide-Sorten Emmer und Einkorn im Umkreis der Mühle. „Das am weitesten entfernte Feld unserer Zulieferer liegt etwa 15 Kilometer weg“, sagt Thea Scholz. Rund zehn Bauern, größere und kleinere Betriebe, bauen heute Getreide für die Hegnacher Mühle an. Die regionale Herkunft ihrer Produkte ist ein Merkmal, mit dem diese bei der Kundschaft punktet. So etwas brauche man als kleine Handwerksmühle, um zu überleben, weiß Thea Scholz, deren Kollegen aus Großmühlen bisweilen über den „Spielzeugbetrieb“ witzeln. Die Lage im Großraum Stuttgart sei von Vorteil: „Die Leute hier haben ein Bewusstsein für gute Lebensmittel und können sich das leisten.“

Urgetreide als Alleinstellungsmerkmal

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist das in der Produktion recht aufwendige und daher teure Nischenprodukt Urgetreide, das die Mühle seit dem Jahr 2011 verarbeitet und bislang vor allem an Privatkunden verkauft. „Das Urgetreide wollen wir jetzt aber ein bisschen breiter verteilen“, so Thea Scholz. Ihr und ihrem Mann Janek wird Ulrich Stietz im kommenden Jahr den Betrieb übergeben. Den jungen Müllersleuten schwebt vor, „Urgetreide als regionale Marke zu etablieren“. Kleinere Bäckereien zu Emmer und Einkorn zu bekehren sei gar nicht so schwierig, sagen sie: „Gerade Jüngere haben oft Lust, etwas anderes zu machen.“

So blickt die Müllerfamilie zuversichtlich in die Zukunft. Auch was die Nachfolge angehe, sei sie bei drei Söhnen optimistisch, sagt Thea Scholz und lacht: „Einer schreibt in Freunde-Bücher gern Müller als Wunschberuf.“ Wohin das führen kann, weiß sie ja.

Mühlenfest zum 150-Jahr-Jubiläum

Ablauf
In der Hegnacher Mühle in Waiblingen wird am Pfingstmontag, 20. Mai, ein Mühlenfest gefeiert. Los geht es um 10.30 Uhr mit einem Gottesdienst im Grünen. Um 11.30 Uhr eröffnet Landrat Richard Sigel das Fest, danach werden von 11.45 bis 17 Uhr kostenlose Führungen durch die Mühle angeboten. Zwischen 15 und 18 Uhr spielt die Blaskapelle Jonge Remstäler Blasmusik, dazu gibt es Speisen und Getränke. Das Fest endet um 20 Uhr.

Kinderprogramm
Um 15 Uhr spielt das Remstaler Figurentheater „Der Schatz in der Mühle“. Der Eintritt ist frei. Während des Festes können Kinder Ponyreiten.

Anreise
An der Mühle gibt es keine Parkplätze, aber auf dem Rewe-Parkplatz in Hegnach, Oeffinger Straße 1. Von dort führt der rund zwei Kilometer lange Weg durch den Ort und durch Wiesen bergab zur Mühle. Eine weitere Parkmöglichkeit ist der Parkplatz der Firma Stihl am Werk 1, angefahren wird dieser über die Klinglestalstraße. Von dort fährt ein Planwagen-Shuttle

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